Inbound-Center im Marketing: Praxistest und Checkliste

Inbound-Center im Marketing: Praxistest und Checkliste

Inbound-Center – auch als Call-Center, Contact-Center, Customer-Service-Center und Customer-Care-Center bekannt – haben für das künftige Marketing eine enorme Bedeutung. Denn sie reagieren im richtigen Moment auf aktive Kunden und entsprechen damit den aktuellen Trends zu Informationsüberlastung, Kundenskepsis, Vernetzung und Social Media. Kurz: Inbound-Center leisten ein effizientes Volltreffer-Marketing ohne Streuverluste! Trotzdem gibt es viele frustrierte Kunden und großes Verbesserungspotenzial.

Erfolgreiche Manager antizipieren Trends, gestalten Veränderungen und nutzen das Momentum für innovative Strategien. Ein solches Momentum ist aktuell in Marketing und Vertrieb zu beobachten. In den letzten Jahren hat sich ein neues Verhältnis zwischen Kunden und Unternehmen oder zwischen Aktion und Reaktion etabliert. In der Vergangenheit dominierten Unternehmen die Aktion und hofften auf die Reaktion der Kunden. Doch jetzt setzen Kunden die Aktionen und erwarten von Unternehmen professionelle Reaktionen. Die Spielregeln haben sich umgekehrt. Kunden haben die Macht und entscheidend ist ihr „Moment der Aufmerksamkeit“. Diesen Moment fördern aktuelle Trends. Denn die klassische Kommunikation vom Unternehmen zum Kunden wird von der Informationsüberlastung begrenzt. Etwa 99 Prozent der von Unternehmen versendeten Informationen erreichen nicht die Kunden. Selbst wenn Kunden erreicht werden, reagieren diese skeptisch auf die einseitige Kommunikation der Unternehmen und assoziieren damit Begriffe wie Übertreibung, Belästigung und Manipulation. Die Gesellschaft leistet heute aktiven Widerstand und wehrt die Kommunikation der Unternehmen mit Robinsonlisten, Technologien und Gesetzen ab. Insgesamt nimmt die Wurfweite im Marketing ab (Belz et al. 2011).
Demgegenüber untermauern weitere Trends die Kommunikation vom Kunden zum Unternehmen. Vor dem Kauf profitieren Kunden von einer erhöhten Transparenz. Das mobile Internet beschleunigt die Kommunikation und ermöglicht Kunden nahezu jederzeit, Unternehmen zu kontaktieren. Der rasante Anstieg von Social Media verstärkt diesen Trend und gibt Kunden die Kontrolle über das Informationszeitalter. In der Kaufphase nehmen informierte und aktive Kunden eine neue Rolle ein und beteiligen sich auf Online-Plattformen auch an der Wertschöpfung. Nach dem Kauf nimmt die Bedeutung von Kundenbewertungen im Internet rasant zu.
Carsten Schloter (2009), CEO der Swisscom AG, fordert daher den Wandel vom Push- zum Pull-Marketing. Oder anders ausgedrückt: „Vom Advertising zum Invertising“ (Lammoth 2008). Diese umgekehrte Kommunikation vom Kunden zum Unternehmen wird in der Regel von Inbound- Center bearbeitet. Ihre Qualität wird aber regelmäßig und medienwirksam kritisiert (König 2012).

Wichtigster Kanal im Marketing

Für die effiziente Bearbeitung von Anfragen, Bestellungen und Beschwerden nutzen Unternehmen zunehmend spezialisierte Inbound-Center – auch als Call- Center, Contact- Center, Customer-Service-Center und Customer-Care- Center bekannt (Belz/Schagen 2013).
Als wesentlicher Bestandteil des Kundenerlebnisses prägen Inbound-Center für Kunden den „Moment der Wahrheit“. Sie sind ein Aushängeschild für die Kundenorientierung eines Unternehmens und ein wichtiger Treiber für den Unternehmenserfolg (Schagen 2012). Inbound- Center erwirtschaften laut McKinsey (2006) mindestens zehn Prozent des gesamten Umsatzes und sind für das Cross- und Up-Selling relevant. Laut Capgemini (2006) und Accenture (2008) sind Inbound-Center als künftig wichtigster Kanal im gesamten Marketing zu werten.
Allerdings werden die Kundenerwartungen laut einer gemeinsamen Studie von Capgemini und Ernst & Young (2000) selten erfüllt. Häufig werden schlechte Erreichbarkeiten, lange Reaktionszeiten und wenig qualifizierte Antworten kritisiert. So zählt eine Umfrage der Deutschen Verkäufer-Schule (2011) die Reaktionen auf aktive Kunden heute zu den großen Herausforderungen in der Praxis. Unternehmen haben Mühe, das richtige Maß an Inbound- Center-Qualität zu definieren und umzusetzen.

Inbound-Center im Praxistest

Aus diesem Grund habe ich zu Beginn meiner Dissertation die Inbound-Center der 50 kundenorientiertesten Dienstleistungsunternehmen Deutschlands getestet (Schagen 2012). An jedes Unternehmen wurde an einem Arbeitstag anfangs der Woche zu vergleichbaren Uhrzeiten jeweils eine E-Mail von zwei verschiedenen Konten gesendet. Der Status quo ist trotz des Doppeltests eine Momentaufnahme ohne Anspruch auf empirische Repräsentativität. Die Praxisergebnisse deuten aber einen dringenden Handlungsbedarf an:
• 22 Prozent der Anfragen eines potenziellen Neukunden wurden gar nicht beantwortet!
• 20 Prozent der Unternehmen reagieren erst nach 3 bis 14 Tagen auf eine E-Mail!
• 44 Prozent der Unternehmen haben eine unbefriedigende Kommunikation zum Kunden!
• 54 Prozent der Unternehmen versenden keine automatisierte Eingangsbestätigung!
• Nur die Versicherung CosmosDirekt kann als Best Practice bezeichnet werden.

Checkliste: Zehn Schritte für das Management

Inbound-Center haben eine hohe Relevanz für das Kundenerlebnis und den Unternehmenserfolg. Trotzdem wird ihre Qualität regelmäßig und medienwirksam kritisiert. Wir haben Inbound-Center daher in den letzten Jahren in qualitativen Experteninterviews, Workshops und Fallstudien sowie in quantitativen Experimenten umfangreich untersucht. Als Ergebnis präsentieren wir zehn Schritte für ein erfolgreiches Inbound-Center-Management:

1. Unternehmensstrategie als Ausgangspunkt
Im ersten Schritt wird die übergeordnete Unternehmensstrategie betrachtet. Unternehmen mit einer Niedrigpreisstrategie benötigen im Inbound-Center eine entsprechend kostengünstige Qualität. Demgegenüber setzen Unternehmen mit einer Qualitätsstrategie auf eine hohe Qualität im Inbound-Center. Die Kosten werden durch den besseren Kundennutzen und höhere Preise gerechtfertigt.

2. Kommunikation als Folge der Unternehmensstrategie
Die Kommunikation zum Kunden folgt aus der Unternehmensstrategie. Eine Niedrigpreisstrategie erfordert geringe Kosten mit relativ gering qualifizierten Mitarbeitern und einer standardisierten Kommunikation im Kundenkontakt. Umgekehrt spiegeln qualifizierte Mitarbeiter und eine individuelle Kommunikation eine Qualitätsstrategie mit hohem Kundennutzen wider.

3. Wertschöpfung im Inbound-Center
Im nächsten Schritt ist die Wertschöpfung eines konkreten Inbound-Center relevant. Wenn ein Inbound- Center durch die Bearbeitung von Anfragen und Beschwerden eine geringe Wertschöpfung oder durch die Bearbeitung von Bestellungen eine hohe Wertschöpfung erzielt, so ergeben sich unterschiedliche Folgerungen für die Qualität im Kundenkontakt.

4. Reaktionszeit als Folge der Wertschöpfung
Die Reaktionszeit ergibt sich aus der Wertschöpfung im Inbound-Center. Anfragen und Beschwerden haben eine geringe Wertschöpfung und können mit relativ langsamen Reaktionszeiten beantwortet werden. Andererseits benötigen Inbound-Center schnelle Reaktionszeiten zur Bearbeitung von Bestellungen mit einer hohen Wertschöpfung.

5. Erreichbarkeit und Social Media
Die Erreichbarkeit ist laut Kundenaussagen ein wichtiger Qualitätstreiber. Kunden erwarten heute eine schnelle, unkomplizierte Erreichbarkeit über alle Kanäle. Dazu zählen kostenlose Hotlines mit Rückrufservice, leicht zu findende E-Mail- und Post-Adressen, interaktive Chats mit Skype und eine sinnvolle Präsenz in Social Media. Gute Hinweise stammen aus dem Omnichannel-Management.

6. L eistung und Entschädigung
Inbound-Center bieten Kunden vielfältige Leistungen. Im Beschwerdemanagement hat der Umgang mit freiwilligen Entschädigungen eine hohe Relevanz. Untersuchungen zeigen deutlich, dass freiwillige Entschädigungen zwar eine langsame Reaktionszeit oder eine standardisierte Kommunikation ausgleichen können. Kunden mit guten Beziehungen zum Unternehmen wollen aber nur eine kompetente Antwort und ausdrücklich keine freiwillige Entschädigung.

7. Verbesserung
Inbound-Center sind der zentrale Kontaktpunkt zum Kunden und die wichtigste Anlaufstelle für Beschwerden. Es liegt nahe, die Feedbacks der Kunden unternehmensweit zu verbreiten und Verbesserungen in anderen Abteilungen anzustoßen. Inbound-Center sind dafür in entsprechende Prozesse zu integrieren.

8. Kundensegmentierung
Inbound-Center profitieren unserer Ansicht nach von einer beziehungsorientierten Kundensegmentierung. Kunden werden nicht nur nach ihrem Wert, sondern auch nach ihrer Beziehung zum Unternehmen segmentiert. Fans, Freunde und Kritiker haben unterschiedliche Erwartungen und werden entsprechend bearbeitet.

9. Management-Cockpit im Controlling
Das Management-Cockpit zeigt die wesentlichen Stellhebel für die Inbound-Center-Qualität, wie z.B. die Reaktionszeit und den Kommunikationsstil, und verbindet diese mit der Kundenzufriedenheit, Loyalität, Wiederkaufabsicht sowie dem Kundenwert von Fans, Freunden und Kritikern. Die Inbound-Center-Qualität wird so mit dem Unternehmenserfolg verbunden.

10. Szenarien für Inbound-Center
Im letzten Schritt bereiten sich Unternehmen auf die mittelfristige Zukunft ihres Inbound-Center vor und setzen sich mit denkbaren Stärken und Schwächen im Unternehmen sowie möglichen Chancen und Risiken im Unternehmensumfeld auseinander. Drei möglichst konkrete Szenarien für das Jahr 2020 treffen pessimistische, wahrscheinliche sowie optimistische Annahmen und ermöglichen dem Management die frühzeitige Positionierung des Inbound-Center. Die zehn Schritte für das Inbound-Center-Management zeigt links stehende Abbildung.

Fazit: Den Moment der Aufmerksamkeit nutzen

Unternehmen investieren horrende Summen, um Kunden zu kontaktieren. Denken Sie nur an die Kosten für die Vertriebsmannschaft, sämtliche Werbemaßnahmen, besondere Kunden-Events, imposante Messestände, innovative Filialen, aufwendiges Sponsoring und kreative Aktionen im Web 2.0. Es geht immer nur um den Kontakt vom Unternehmen zum Kunden! Dieser klassische Weg ist ineffizient – ein Ausläufer.
Denn jedes Mal, wenn sich ein Kunde bei einem Unternehmen meldet und etwas fragt, bestellt oder reklamiert, dann handelt es sich um Volltreffer-Marketing ohne Streuverluste (Belz/Schagen 2011). Kunden bestimmen selbst über Inhalt, Zeit und Kanal des Kontaktes. Professionell reagierende Inbound-Center sind dann der Schlüssel zum Erfolg. Auch der gesunde Menschenverstand sagt, dass dort die Zukunft des Marketings liegt.
Es stellt sich die dringende Frage nach der Budgetverteilung im Marketing ... und natürlich besteht Bedarf an weiteren Untersuchungen zum Thema.

Inbound-Center-Typen mit Hinweisen zur Qualität im Kundenkontakt


 
zehn Schritte für ein erfolgreiches Inbound-Center-Management
Autorin(nen) / Autor(en):
Ordinarius für Marketing des Instituts für Marketing an der Universität St. Gallen
Universität St. Gallen
Geschäftsführer
ServiceOcean