Zerstört der VW-Skandal das Qualitätslabel „Made in Germany“?

Zerstört der VW-Skandal das Qualitätslabel „Made in Germany“?

Der Volkswagen-Abgasskandal wirft ein schlechtes Licht auf die Marke VW und das Qualitätslabel „Made in Germany“. Der Abgasmanipulationsskandal ruft die Frage hervor, wie stark eine Marke unter einem solchen Schockereignis leidet. Aus Marketingsicht lassen sich dazu folgende Feststellungen machen:

1 Es dauert wesentlich länger, Markenvertrauen aufzubauen, als es zu zerstören. Dennoch: Eine starke Marke verfügt in der Regel über ein solch‘ starkes Markenguthaben, dass dieses durchaus Kratzer und „Reputationsschläge“ abfedern kann. Die meisten Skandale sind nach kurzer Zeit vergessen, die Erinnerungen daran verblassen. Dass die „A-Klasse“ von Mercedes bei der damaligen Markteinführung den Elchtest nicht bestanden hat und umgefallen ist, hat zur Belustigung von Kunden und Konkurrenten geführt – jedoch wussten alle, dass eine so starke Marke wie Mercedes, die auf Sicherheit positioniert ist, dieses Problem in den Griff bekommen wird. Inzwischen ist die Story vergessen, die A-Klasse ein kommerziell erfolgreiches Auto, und Mercedes steht nach wie vor für „sichere Autos“.

Es dauert wesentlich länger, Markenvertrauen aufzubauen, als es zu zerstören.

2 Kritisch wird es jedoch, wenn das Guthaben einer Marke zum Zeitpunkt eines Skandals nicht ausreichend ist. Wäre der Smart bei der Markteinführung damals wie die A-Klasse umgefallen, dann gäbe es die Marke heute sicherlich nicht mehr, weil die Marke noch kein Markenguthaben gehabt hätte. Die in den USA damals schwache Marke Audi wurde durch die sehr medienwirksamen „unindended acceleration“- Vorwürfe in den Achtzigerjahren fast zerstört – und hat Jahrzehnte benötigt, um sich zu erholen und eine eigene Markenstärke aufzubauen.

3 Je stärker ein Skandal kaufentscheidende Kriterien betrifft, desto kritischer ist es für eine Marke. Compliance- Skandale wie beispielsweise bei Siemens oder der UBS können finanziell zwar (fast) den Ruin eines Unternehmens bewirken, aus Markensicht sind sie aber unkritischer als Skandale, die den Kunden direkt betreffen. Volkswagen ist seit langer Zeit auf dem Wert „Kaufsicherheit“ positioniert, wie die Slogans von „Da weiß man, was man hat“ bis „Das Auto“ belegen. Diese Verlässlichkeit des Werts eines Volkswagens ist zumindest bei einem Dieselfahrzeug nun aber beeinträchtigt. Da tröstet es wenig, dass es sicherl ich noch schlimmer gewesen wäre, wenn sicherheitsrelevante Fahrfunktionen betroffen wären.

4 Die Identif ikation von Kunden mit einer Marke macht sie widerstandsfähiger. Volkswagen ist in Deutschland die beliebteste Automarke – ein Angriff auf diese Marke wird von zahlreichen Kunden auch als Angriff auf ihre eigene Identität wahrgenommen. Einige PR-Aktionen von Greenpeace gegen Volkswagen sind daher in den letzten Jahren relativ wirkungslos verpufft: „Green“ ist nicht der Hauptgrund, warum die meisten Kunden einen Volkswagen fahren – und sie wollen von Greenpeace dann auch ungern belehrt werden.

5 Kunden hassen es, hinters Licht geführt zu werden. Niemand wird gern manipuliert, das heißt dazu bewegt, gegen seinen eigentlichen Willen zu handeln. Im Gegensatz zu vielen Rückrufaktionen scheint beim aktuellen Fall arglistige, vorsätzliche Täuschung von Konsumenten und Behörden vorzuliegen. Dies multipliziert nicht nur den finanziellen Schaden aufgrund von Strafzahlungen und Schadenersatz, sondern auch den Markenschaden.

6 Je länger und öfter eine Marke in den negativen Schlagzeilen bleibt, desto tiefer werden die Kratzer und Dellen an der Marke. Bei Krisensituationen gelten die klassischen PR-Regeln: Ein Unternehmen muss offen, vollständig und ehrlich kommunizieren – und zwar ohne Rücksicht auf die Personen.

Kunden hassen es, hinters Licht geführt zu werden.

Bei einem Skandal dieser Tragweite kommt aufgrund des hohen Involvements von Presse und Politik, aber auch unternehmensinterner Rivalitäten, ohnehin alles ans Tageslicht. Die Entschuldigung und insbesondere auch der Rücktritt von VW-Chef Winterkorn sind daher erste notwendige Schritte für eine umfassende Aufklärung. Wenn Volkswagen in der Krise gut handelt und kommuniziert, dann könnte es sein, dass – bis auf die juristische Berichterstattung – der Fall in wenigen Monaten vergessen ist.

 

7 Skandalwiederholungen sind der Todesstoß für eine Marke. Wenn Volkswagen Glück hat, dann kommt die Marke vorerst mit einer „Bewährungsstrafe“ davon. Sollte sich allerdings in Kürze ein weiterer Volkswagenskandal ereignen, dann sind die Tage gezählt, in denen die Marke zu den allerstärksten deutschen Marken zählte.

Geht der Schaden des aktuellen Abgasmanipulationsskandals von VW sogar weiter, indem er das internationale Qualitätslabel „Made in Germany“ ankratzt? Ist Volkswagen nicht ein Synonym für „Made in Germany“, also solide deutsche Qualität, Ingenieurskunst und Zuverlässigkeit? Die Antwort hierauf ist allerdings eindeutig. Internationale Country-of-Origin- Markenstudien der Universität St. Gallen belegen klar, dass Länder-Images extrem langfristig und träge sind – sie verändern sich kaum, selbst in Krisensituationen.

Skandalwiederholungen sind der Todesstoß für eine Marke.

So hat sich beispielsweise die letzte Finanz- und Bankenkrise nicht negativ auf das Image des Finanzplatzes Schweiz ausgewirkt, auch wenn alle das Gegenteil erwartet hätten. „Made in Germany“ ist auch nicht lediglich Volkswagen, sondern ebenso BMW, Mercedes, Miele, Continental, Bosch, Vorwerk, Bayer, Hansgrohe, Fielmann, Trigema, BASF … und steht insbesondere für die Hochleistung Hunderter Mittelständler. Deutschland wird international mit Qualität, Bier, Autos, Sauberkeit, Pünktlichkeit und Merkel, aber auch heute noch mit Hitler und dem 2. Weltkrieg verbunden. In den letzten Jahren haben sich Imagezuschreibungen dieses Landes kaum verändert. Daher darf man den Einf luss einzelner Skandale – so schlimm sie im Einzelfall auch sind – keinesfalls überschätzen. Es bedürfte mehrerer Skandale ausschließlich deutscher Unternehmen, die weltweit über Wochen in allen Medien breit kommuniziert werden, um das robuste „Made in Germany“-Qualitätslabel nachhaltig umzustoßen. Das entschuldigt jedoch keinesfalls das zu beanstandende unethische Verhalten von Volkswagen. Doch professionelles, ehrliches und nachhaltiges Management kann helfen, den Skandal zu überwinden.

Je stärker ein Skandal kaufentscheidende Kriterien betrifft, desto kritischer ist es für eine Marke.

Hatten nicht Siemens, Toyota und Mercedes auch vor nicht zu langer Zeit Skandale? Skandale können Vertrauen schnell zerstören, aber ein starkes Markenguthaben kann abfedernd wirken. Marken brauchen Zeit – und schenken in der Krise wertvolle Zeit.

Institut für Marketing der Universität St.Gallen

Mit rund 35 Mitarbeitenden erforscht das Institut für Marketing der Universität St.Gallen in den Kompetenzzentren die Themen B-to-B-Marketing und Hightech-Marketing, Verkaufsmanagement, Dialogmarketing, Messen, Multichannel-Management und kooperatives Marketing sowie Marketingperformance (www.ifm.unisg.ch). Aktuelle Entwicklungsprogramme mit Unternehmen sind Best Practice in Marketing, reales Kundenverhalten – reales Marketing, Sales driven Company und Customer Centricity.

Generellere Themen sind Marketinginnovation, Trends/Kundeninformation/Kundenverhalten, Markenführung, Internationales Marketing, Solutions- und Volumengeschäft, Kundenmanagement sowie Marketingführung und -organisation.

Ziel des Instituts ist es, die eigene Forschung und Entwicklung mit führenden Unternehmen und Führungskräften zu verbinden. In allen Bereichen wird der Transfer zudem durch betriebsübergreifende und interne Weiterbildungen sowie die „Marketing Review St. Gallen“ (Gabler Verlag) gefördert.

Im Institutsleiterteam wirken mit: Prof. Dr. Christian Belz (Geschäftsführer), Prof. Dr. Sven Reinecke, Prof. Dr. Marcus Schögel, Dr. Michael Betz, Dr. Michael Reinhold und Prof. Dr. Christian Schmitz.

Flankiert werden diese Aktivitäten durch mehrere weitere Institute im Marketingdepartment der Universität St.Gallen. Spezialisten befassen sich in den Instituten für Versicherungswirtschaft, für öffentliche Dienstleistungen und Tourismus und für Banken, für Wirtschaft und Ökologie sowie den Forschungsstellen für Customer Insight und Internationales Handelsmanagement mit Marketing.

Bilder zum Artikel:
Autorin(nen) / Autor(en):
Dozent für Betriebswirtschaftslehre
Institut für Marketing und Handel