Wie tragfähig ist die neue Mercedes- Luxus-Strategie?

Wie tragfähig ist die neue Mercedes- Luxus-Strategie?

Marke Mitten im Ukraine-Krieg hat Mercedes am 19. Mai 2022 seine neue Luxusstrategie „The Economics of Desire“ an der Côte d’Azur einem exklusiven Kreis von Investoren vorgestellt. „The Soul of Mercedes-Benz“ hat Firmenchef Ola Källenius seine Rede überschrieben. „The strategic principles as a luxury company“ fallen in eine Welt, die mit dem russischen Angriffskrieg und einer immer stärker werdenden weltweiten Inflation ins Ungleichgewicht gerät.

Genau in dieser Zeitenwende positioniert sich Mercedes als die Marke der Reichen und Schönen. Weniger Autos mit deutlich höherem Gewinn pro Auto stehen im Fokus. Taxifahrer und Einstiegsmodelle waren gestern. Wie tragfähig ist die neue Mercedes-Strategie?

Autobauer werden zu Tech-Companies mit Super-Scales

Die Autoindustrie durchläuft die größten Transformationen seit Karl Benz und Gottlieb Daimler. Einerseits der Übergang zum Elektroauto, zum anderen die noch gewaltigere Herausforderung des Software-Defined-Car, mit autonomem Fahren als epochale Innovation. Die ökonomische Basis beider Transformationen ist eine neue Welt von Super-Scales, also Kostenvorteilen durch Größe. Super-Scales prägen Tech-Unternehmen wie Alphabet, Apple oder Microsoft und waren bisher in der Autoindustrie fremd. Gleichteile zwischen Kompakt- Modellen und Mittelklasse-Fahrzeugen prägen derzeit noch einen Großteil der alten Autowelt der Verbrenner. Manche nennen es „Verblockung“ zwischen Baureihen. So basieren zu großen Teilen die Modelle von Toyota, Stellantis oder BMW auf mehreren Fahrzeug- Architekturen oder Plattformen. Die Kostenvorteile durch hohe Volumen, sprich Scales, sind vorhanden, aber eben überschaubau.
Der wichtigste Kostenfaktor bei Elektroautos ist die Batterie. Batteriezellen machen bis zu fünfzig Prozent der Wertschöpfung des Elektroautos aus. Die Fahrzeug-Architektur ist diametral zum Verbrenner. So plant der VWKonzern für alle Elektroautos nur eine Plattform, die einem Skateboard ähnelt. Nicht mehr fünf oder acht Grundarchitekturen prägen das Bild, sondern eine. Damit entwickeln sich die derzeit überschaubaren Scales zu Super-Scales. Noch größer ist der Sprung beim Software-Defined-Car, also etwa dem autonomen Fahren. Die Software wird wie bei Apple oder Microsoft einmal entwickelt und millionenfach nahezu mit null Kosten dupliziert. Tech-Konzerne werden durch Super-Scales getrieben und die Autobauer wandeln sich zu Tech-Konzernen.
Welchen Sinn macht in so einer Welt eine einseitige Festlegung auf Super-Luxus, so wie es die Mercedes-Benz Group plant und phantasievoll mit einer selbsterfundenen ökonomischen Theorie der „Economics of Desire“ propagiert? Der Mercedes-Vorstandsvorsitzende bemüht Damenhandtaschen zum Vorbild, die Birkin Bag des französischen Luxusunternehmens Hermès. Immerhin hatte eines der Täschchen der Reichen und Schönen bei einer Versteigerung bei Sotheby neulich den Wert von 107 000 Euro erzielt. Im Vorstand von Mercedes scheint das für glänzende Augen zu sorgen. Handtaschen nebenbei bemerkt sind Handwerkerware. Scales spielen dabei keine Rolle. Das französische Luxus-Unternehmen Hermès macht mit 16 600 Mitarbeitern weniger als sieben Milliarden Euro Umsatz. Mercedes- Benz erzielte zuletzt 168 Milliarden Euro Umsatz mit 172 000 Beschäftigten. Reicht eine Luxus- Nische handwerklicher Kunst aus, um in der neuen Autowelt der Super-Scales erfolgreich zu sein? Elon Musk hat das mit Tesla auf seine Art beantwortet. So schnell wie möglich mit Giga-Factories rund um die Welt in Super-Scales einsteigen, auch wenn es an der einen oder anderen Stelle klemmt. Nicht handwerkliche Tugenden, sondern Tech-Innovationen sind das Ding von Elon Musk und er kann die Management- Bedeutung von Super-Scales sehr gut einschätzen.
Taxifahrer oder Kompaktklassekäufer für Mercedes A- und B-Klasse-Modelle sollen nicht zur „Economics of Desire“-Zielgruppe von Mercedes gehören: Klingt simpel. Einfach die margenschwachen Produkte auslaufen lassen und nur noch Luxus mit märchenhaften Margen verkaufen, eben wie Hermès, lautet die Management-Maxime. Dabei weiß jeder Ökonomiestudent, dass es sinnvoll sein kann, selbst Produkte mit negativem Gewinn im Produkt-Portfolio beizubehalten, können sie doch bei positivem Deckungsbeitrag die Gesamtgewinn- Situation verbessern. Die neue Autowelt ist die Welt der Super-Scales und damit können geringe Deckungsbeiträge bei hohen Stückzahlen sehr viel Sinn machen.

Super-Scales und irreversible Prozesse

Welche Konsequenzen könnte die einseitige Ausrichtung auf Luxus haben, neben den traumhaften Margen für wenige Super- Luxus-Autos? Einige Zahlen erlauben dazu Einschätzungen (vgl. Abb. 1). Mercedes ohne die A- und B-Klasse und Smart, der bald aus China von Geely kommt, verliert jährlich mehr als 400 000 Fahrzeuge. Klammert man die Transporter aus und lässt die Taxifahrer weiter den Benz fahren, hat Mercedes im letzten Jahr 1,9 Millionen Fahrzeuge weltweit verkauft. BMW hat zur gleichen Zeit inklusive Mini und Rolls- Royce weltweit 2,5 Millionen Fahrzeuge verkauft. Ohne seine A-und B-Klasse hat Mercedes einen Nachteil von mehr als 600 000 Fahrzeugen pro Jahr gegenüber der BMW Group. Und selbst gegenüber Audi, die im letzten Jahr immer noch am Nachhall der Dieselbetrügereien zu leiden hatten, liegt Mercedes rund 100 000 Fahrzeuge zurück. Audi profitiert nicht nur durch die 10 Millionen Fahrzeuge des VW-Konzerns, sondern durch eine Vielzahl neuer Modelle in den nächsten Jahren.
Der Mercedes-Chef hingegen setzt auf das Wachstum der neuen Untermarken S-Klasse, Maybach, AMG und G-Klasse. Keine Frage, die Fahrzeuge sind hochprofitabel. Aber die Segmente und Volumen sind „überschaubar“, eben wie Hermès. Super-Luxus-Produkte haben üblicherweise relativ starre Preiselastizitäten, sprich, die Kunden kaufen, egal wie hoch der Preis ist. Das Problem sitzt nicht im Super-Luxus-Segment, sondern im Bauch der Preis-Absatz- Funktion, sprich, der Mercedes C-Klasse und E-Klasse sowie der zugehörigen SUVs. Die Segmente der C- und E-Klasse sind preissensitiv und technologiegetrieben. Audi, BMW, Porsche, Tesla, die jungen Chinesen – eine ganze Reihe von sehr ernsthaften Wettbewerbern nutzen Super- Scales. Batteriezellen bezieht Mercedes etwa vom französischen Batteriehersteller ACC. Im Gegensatz etwa zu Tesla oder dem VW-Konzern hat man bei Mercedes bisher wenig zu Batterie- Know-how gesehen. Es soll sich im Aufbau befinden. In Europa kauft man seine Batteriezellen, der Kern des Elektroautos, zukünftig von ACC, die überwiegend für Stellantis, also Peugeot-Citroën, Fiat oder Opel die Zellen zukünftig liefern. Eine eigene ACCZelle wird bei niedrigem Absatz für Mercedes teuer. Also nimmt man entweder die Zellen von Citroën, Peugeot, Opel oder Fiat oder die C-Klasse- und E-Klasse- Kosten laufen davon. Eine Wahl zwischen Szylla und Charybdis.
Noch extremer wird es beim autonomen Fahren in der Zukunft. Es könnte ein gefährlicher Schrumpfungsprozess ausgelöst werden, der an der Substanz des Unternehmens nagen könnte. Klein, aber fein ist schön, aber dann eben nicht mehr mit 170 Mrd. Euro Umsatz und 170 000 Mitarbeitern. Ist man geschrumpft, gibt es keine Rückkehr mehr zu Super-Scales, es sei denn durch Integration in einen großen Konzern, wie etwa die Geely Holding. Super-Scales kann man nicht mit emsigem Sparen schlagen. Der Prozess ist irreversibel. Auch deshalb übt Elon Musk einen immensen Wachstumsdruck aus. Die Luxus- Strategie birgt damit deutlich mehr Risiken, als man beim einfachen Blick auf Maybach oder AMG-Margen sieht.

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Autorin(nen) / Autor(en):
Direktor, CAR-Center Automotive Research
Universität Duisburg-Essen