Wenn die Marke in der Gosse landet

Wenn die Marke in der Gosse landet

Das Modelabel Abercrombie & Fitch will nur Schöne und Reiche in seinen Klamotten sehen. Abgesang auf eine Marke.

New York, eine Seitenstraße der berüchtigten Armutsmeile Bronx. Hier leben Menschen auf Dachpappen. Ihre Habseligkeiten sind in einem geklauten Einkaufswagen verstaut. Und dann fällt der Blick auf den Pullover, den ein unrasierter Mann in den mittleren Jahren stolz präsentiert. Er stammt von Abercrombie & Fitch, einem der angesagtesten Trend-Label der Modebranche. Wie bitte? Hat er etwa sein erbetteltes Geld statt in Alkohol in ein cooles Sweatshirt investiert?
Hat er nicht. Der Sweater stammt aus einer Aktion des bis dato ziemlich unbekannten Schriftstellers Greg Karber. „Fitch the Homeless“ verteilt die Klamotten der Nobelmarke an Obdachlose. Was wie ein bizarrer Scherz klingt, ist nicht nur eine der spektakulärsten medialen Aktionen der letzten Jahre – es ist auch ein Lehrstück, wie die Kraft der Konsumenten eine Marke gegen die Wand fahren kann.
Der Reihe nach. Abercrombie & Fitch-Boss Mike Jeffries verkündete schon vor Jahren dreist, er wolle nur coole, gutaussehende Menschen in seinen Klamotten sehen. Geht gar nicht, dachten sicher viele, während dennoch Millionen trendgeiler Mode-Junkies wie Lemminge in die glitzernden Arroganztempel pilgerten. Der Besitz eines Kleidungsstücks von Abercrombie & Fitch gilt ähnlich wie bei der ebenfalls zum Konzern zählenden Marke Hollister als Inbegriff der Coolness bei den hippen Teenagern.
Bei A&F ist die größte Größe theoretisch eine zwölf, wobei viele Läden nicht einmal die im Angebot hätten, berichtet der Fernsehsender ABC in einer Reportage. Das europäische Pendant wäre Kleidergröße 42. Die Durchschnittsfrau in den USAträgt übrigens 14. Auch in Deutschland gibt es Abercrombie & Fitch-Läden, jedoch nur drei. Andere Geschäfte dürfen die Kleidung nicht verkaufen. Promis wie TV-Dampfplauderer Stefan Raab zeigen sich gerne in den lässigen Fummeln.
Fehlerhafte Kleidungsstücke werden zudem nicht, wie bei anderen Herstellern üblich, an soziale Einrichtungen gespendet. Nein, sie werden verbrannt. Nach den Worten eines amerikanischen Modeanalysten will Abercrombie & Fitch „den Eindruck vermeiden, dass sich auch arme Leute diese Kleidungsstücke leisten können“.
Vor allem in den USA regte sich schon bald Widerstand gegen das menschenverachtende Kundenverständnis des Labels. Teenager protestierten vor den Abercrombie- Geschäften in Chicago und forderten auf Pappschildern „soziale Gleichheit für alle Körperformen“. Neben dem Exklusivitätsgebaren werfen Experten dem Label vor, ein ungesundes Körperbild zu fördern. Damit ist die Marke nicht die einzige. Erst vor einigen Wochen erntete auch H&M Kritik, weil das schwedische Unternehmen seine neue Bademodenkollektion fast ausschließlich mit extrem schlanken Models präsentiert hatte.
Doch erst Greg Karbers Netz-Aufruf mobilisierte die Massen. Ein Video, das zum Nachahmen anregen soll, legte auf YouTube binnen kurzer Zeit mehrere Millionen Klicks hin. Die Zuschauer ruft er auf, die eigene Kleidung von Abercrombie ebenfalls an Arme zu verschenken. Seine Absicht: eine „Neuausrichtung“ der Marke, Abercrombie & Fitch solle zur „Nummer eins unter den Marken für Obdachlose“ werden.
Und wieder einmal zeigt das Netz, was es kann. In den sozialen Netzwerken wie Facebook und Twitter entsteht innerhalb kürzester Zeit aus einem rollenden Donner ein Zyklon des Massenprotestes, dem keine Marke der Welt mehr ausweichen kann. Der Imageschaden ist unausweichlich. Nur selten helfen PR-Strategien, um den kaputten Ruf zu kitten. Die Weisheit der Masse ist anno 2013 auch die Macht der Masse.
Doch wir lernen aus der Geschichte noch etwas: Arroganz ist das Attribut, das einer Marke nicht steht. Oder noch schärfer: Das sich eine Marke nie – niemals! – zulegen darf. Sobald sie sich anmaßt, die Konsumenten – also die Finanziers ihres Wohlstands – in gute und schlechte, in erwünschte oder unerwünschte zu kategorisieren, schaufelt sie ihr eigenes Grab.
Diesen Tabubruch hat Abercrombie & Fitch begangen. Sie hat all das überdehnt, was den Erfolg von Marken ausmacht – die Liebe zu ihren Kunden. Denn nur wer liebt, das lehrt uns das 1 x 1 des Konsumentenwissens jeden Tag aufs Neue, wird zurückgeliebt. Oder salopp gesagt: Wer schon das erste Gebot der Kundenbeziehung mit Füßen tritt, hat keinen Erfolg verdient. Gebt solchen Unternehmen nicht euer sauer verdientes Geld!
Die Umsatzzahlen von Abercrombie & Fitch sind übrigens im ersten Quartal 2013 um 15 Prozent zurückgegangen. Und vermutlich geht es weiter bergab. Lieferschwierigkeiten und die schlechte Wirtschaftslage in Europa, heißt es als offizielle Begründung. Ach so. Der Slogan des Unternehmens lautet „Authentic American Clothing since 1892“. Es werden keine weiteren 120 Jahre folgen.

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