Siegermarken Teil 1: Gewinnen im mentalen Kontext

Siegermarken Teil 1: Gewinnen im mentalen Kontext

Serie 1/3 Markenerfolg ist immer relativ. Er hängt nicht nur von der eigenen Markenstrategie, sondern vor allem auch von den Markenstrategien der Mitbewerber ab. So gesehen kann man Markenführung auch als mentalen Kampf um die Gunst der Kunden bezeichnen. Entscheidend für den Erfolg ist daher der mentale Kontext, in dem sich die Marke bewegt. Genau darum geht es in diesem ersten Teil einer dreiteiligen Serie zum Thema Siegermarken.

Sie machen mehr Umsatz und Gewinn. Sie wachsen schneller als der Mitbewerb, haben mehr Marktanteil, erzielen mehr Wertschöpfung und haben einen höheren Markenwert. Sie sind bekannter, beliebter und werden klar bevorzugt. Was aber macht den großen Unterschied zwischen Siegermarken und dem Rest des Feldes aus? 
Diese Frage beschäftigt seit jeher die Management- und Markenwelt. So ist es nicht verwunderlich, dass diese erfolgreichen Siegermarken im Detail studiert werden. Das Ziel: Man möchte Benchmarks für die eigene Marke finden, um dann selbst zur Siegermarke zu werden. 

Vorsicht vor der Benchmark-Falle 

Nur sollte man das Folgende bedenken: Sie können das Geschäftsmodell einer Siegermarke kopieren. Sie können Produkte und Dienstleistungen nachahmen. Sie können dieselben Vertriebswege wählen, dieselben Zielgruppen mit den gleichen Medien ansprechen. Sie können auf die gleichen Marken- und Strategiemodelle setzen. Sie können ähnliche Wege in der analogen und digitalen Werbung gehen und Sie können auch auf die teuersten Beratungs-, Design- und Kreativagenturen setzen. 
Aber eines können Sie nicht kopieren, ganz egal wie viel Zeit, Ressourcen und Finanzmittel Sie haben und einsetzen. Das ist die Position der Siegermarke in der Wahrnehmung der Kunden. Nehmen Sie den Markt für Energydrinks: Sie können so gut wie fast alles von Red Bull kopieren. Aber es ist unmöglich, dass man Red Bull die „Original-Energydrink- Position“ in der Wahrnehmung des Marktes wegnimmt. Diese Erfahrung mussten nicht nur unzählige Unternehmer und Start-ups machen, sondern auch der Softdrink-Gigant Coca-Cola, egal ob man es mit KMX, Burn oder mit Coca- Cola Energy versuchte. 
Diese Erfahrung musste auch Microsoft bei Suchmaschinen gegen Google machen, egal ob mit MSN Search oder Bing. So gesehen ist der Unterschied zwischen Vimeo und TikTok klar. Vimeo wird maximal als eine Art Kopie von YouTube gesehen, Tik- Tok wird nicht als Kopie, sondern als Original und Marktführer bei Kurzvideos wahrgenommen.

Der Marktführer ist der einzige Marktteilnehmer, der in Summe für den Markt und dessen Bedeutung und Wichtigkeit eintreten darf und sollte.

Siegermarke definiert

Eine Siegermarke ist eine Marke, die einen spezifischen Markt zuerst mental und dann tatsächlich dauerhaft wertschöpfend und gewinnbringend dominiert. Siegermarken besitzen mentale und folglich tatsächliche Stärke, die sich in den harten Zahlen, sprich Umsatz, Gewinn und natürlich auch Marktanteil widerspiegelt. 
Das Prinzip Siegermarke gilt aber nicht nur für globale Marken, egal ob B-to-C oder B-to-B, es gilt genauso für nationale und regionale Marken und natürlich auch für die sogenannten Startups. Entscheidend ist die dominante und wertschöpfende Position in der Wahrnehmung der angesprochenen Kunden und damit folglich am Markt. 

Das „Diktat“ des mentalen Kontexts

Das heißt aber auch: Der Startpunkt aller strategischen Überlegungen sollte nie isoliert die eigene Marke sein. Vielmehr sollte man immer mit dem mentalen Kontext starten, in dem sich die eigene Marke bewegt. So werden leider immer noch viele strategische Fehlentscheidungen getroffen, weil man die Position der eigenen Marke überschätzt und die Positionen des Mitbewerbs unterschätzt. 
Die logische Konsequenz oder Folge daraus: Ein Marktführer muss anders denken und handeln als ein Herausforderer, Mitläufer, ein Nischenplayer oder ein Start-up-Unternehmen. Die brutale Wahrheit: Die mentale Ausgangslage „diktiert“ die jeweilige Markenstrategie. 

Das große Privileg des Marktführers 

Dabei sind starke Marktführer klar im Vorteil. Denn eine wahrgenommene Führungsposition ist sehr viel stärker als eine Position, die auf den Vorteilen, Eigenschaften oder Nutzen einer Marke beruht: Coca-Cola bei Cola, McDonald’s bei Fast Food, Nivea bei Hautcreme, Milka bei Tafelschokolade, Flixbus bei Fernbussen, Nespresso bei Kaffeekapselsystemen, Tesla bei Elektroautos, Amazon im Online- Handel, Google bei Suchmaschinen oder Check24 bei Vergleichsportalen. 
Dazu kommt das große Privileg des Marktführers, das gerne übersehen wird.

Jede Community bietet letztendlich die Chance, dass man dort führende Marken etabliert.

Der Marktführer ist der einzige Marktteilnehmer, der in Summe für den Markt und dessen Bedeutung und Wichtigkeit eintreten darf und sollte. Nur für McDonald’s macht es Sinn, für mehr Hamburger- Konsum zu werben. Nur für Coca- Cola macht es Sinn, für mehr Cola-Konsum zu werben. Nur für Amazon macht es Sinn, generell für mehr Einkauf im Internet zu werben. 
Wenn ein Nicht-Marktführer für den Markt wirbt, steigt enorm die Gefahr, dass davon vor allem der Marktführer profitiert. So zeigten bereits Studien in den 1980er- und 1990er-Jahren, dass mindestens 70 Prozent der Werbung der falschen Marke, vor allem aber dem Marktführer, zugeordnet wird. Gut für die Marktführer, sehr viel weniger gut für die Nicht-Marktführer. 

Was Marktführer tun sollten

Damit ergeben sich für einen Marktführer zwei Kernaufgaben im mentalen Kontext: 

(1) Für den Markt in Summe eintreten: Ein Marktführer sollte immer die Themenführerschaft suchen, um den Markt in Summe wichtiger zu machen. Je größer und wichtiger der Markt wird, desto größer und wichtiger wird die Marke. 

(2) Die Marktführerschaft sicherstellen: Gleichzeitig sollte ein Marktführer aber immer sicherstellen, dass die bestehenden und vor allem auch die zukünftigen, also die nachwachsenden, Kunden wissen, wer Marktführer ist und damit auch, wer nicht. 

Genau diesen zweiten Punkt vernachlässigen viele Marktführer. Nur damit besteht oder entsteht die große Gefahr, dass die nachwachsende Generation einmal nicht mehr weiß, wer Marktführer ist bzw. auf einmal einen eigenen anderen Marktführer in der Wahrnehmung hat. Total unverständlich ist daher, dass es immer noch Berater und Agenturen gibt, die Unternehmen abraten, aktiv die eigene Marktführerschaft zu kommunizieren. 

Unser Gehirn liebt Entweder-oder- Entscheidungen. Genau hier liegt die große Chance für Herausforderer.

Was Nicht-Marktführer tun sollten 

Für Nicht-Marktführer, die gegen einen starken wahrgenommenen Marktführer antreten, ist wiederum entscheidend, dass man aus dem mentalen Schatten des Marktführers kommt. Dazu hat man – strategisch im mentalen Kontext gesehen – drei Basismöglichkeiten: 

(1) Gegenteil: Unser Gehirn liebt Entweder-oder-Entscheidungen. Kaffee oder Tee? Wein oder Bier? Genau hier, also in diesem „Entweder- oder“ liegt die große Chance für Herausforderer. Diese, also die Herausforderer, sollten sich aktiv als die erste Alternative zum Marktführer darstellen. 
Eines der besten Beispiele dafür ist und bleibt BMW. In den 1960er-Jahren war ein Mercedes- Benz der Inbegriff für Prestige und Komfort. Ein Mercedes war ein fahrendes Wohnzimmer. Was aber ist die eine Alternativposition zu „Fahrkomfort“. Die Antwort darauf lautet Fahrfreude. Genau das war und ist der Fokus und die Erfolgsposition von BMW, die von BMW auch ganzheitlich gelebt wird. 
Beide Marken besitzen so jeweils eine starke positive Idee. Genau hier liegt oft die große Schwierigkeit, wenn man sich als Herausforderer gegen einen Marktführer positionieren möchte. Es geht nicht darum, dass man den Marktführer „schlecht“ macht, wie es etwa in der Politik unter dem Deckmantel des „Dirty Campaignings“ oft praktiziert wird. Es geht darum, dass man selbst eine positive Idee findet, die man dann gegen den Marktführer positionieren kann. 

(2) Neue Kategorie: Unser Gehirn liebt nicht nur Entweder-oder- Entscheidungen, es liebt auch Personen, Dinge, Ereignisse und natürlich auch Marken zu „schubladisieren“. Hier liegt die große Chance, vor allem für neue Marken, um im Gehirn eine freie Schublade zu finden oder zu erfinden. Nehmen Sie Red Bull! Wo wäre Red Bull heute, wenn Dietrich Mateschitz statt dem ersten Energydrink eine weitere Cola im mentalen Schatten von Coca- Cola und Pepsi-Cola lanciert hätte? Antwort: nirgendwo! 
So gesehen lag die wahre Genialität von Dietrich Mateschitz nicht in der Erfindung der Marke Red Bull, sondern in der Erfindung der neuen Kategorie oder Schublade „Energydrink“. Heißt: Wenn Sie heute eine starke Marke bauen möchten, sollten Sie „zuerst Kategorie, dann erst Marke“ denken. 
Oder nehmen Sie Dr. Best! Bis 1988 war diese Marke eine weitere Handzahnbürste unter vielen im mentalen Schatten von Blenda- dent und Oral-b. Dies sollte sich nachhaltig ändern. Mit der neue Kategorie „erste nachgebende Zahnbürste“ schuf Dr. Best nicht nur eine neue mentale Ordnung in der Wahrnehmung und im Gedächtnis der Kunden, man repositionierte zudem den starren Mitbewerb als gefährlich für Zahnfleisch und Zähne. So stieg der Marktanteil von 6 Prozent im Jahr 1988 auf über 40 Prozent im Jahr 2000. Heute ist Dr. Best der klare Marktführer bei Handzahnbürsten.

Die wahre Genialität von Dietrich Mateschitz lag nicht in der Erfindung der Marke Red Bull, sondern in der Erfindung der neuen Kategorie oder Schublade „Energydrink“.

Spannend in diesem Kontext ist aktuell der Suchmaschinenmarkt. Aktuell wird dieser Markt von Google dominiert. Bing wird maximal als gute Kopie wahrgenommen. Jetzt aber entsteht mit der KI-Suchmaschine eine neue Kategorie mit neuen Marken wie etwa Perplexity. Damit könnte auch eine komplett neue Wettbewerbsdynamik entstehen, die unter Umständen sogar das Geschäftsmodell von Google infrage stellen könnte. 
Egal ob Ryanair als erste Diskont- Fluglinie in Europa, Dyson als erster Staubsauger ohne Beutel oder Ikea als erstes Selbstbaumöbelhaus. Wenn man die großen Markenerfolge studiert, findet man sehr, sehr oft am Beginn eine neue Kategorie. Niemand hat diesen Erfolgsweg besser verstanden als Steve Jobs. So war der iPod der erste MP3- Player mit Harddisc, das iPhone das erste Nur-Touchscreen- Smartphone oder der iPad das erste Nur-Touchscreen-Tablett. Diese drei neuen Kategorien machten den früheren Nischenplayer Apple zur wertvollsten Marke der Welt. 

(3) Mentale Nische: Die dritte Alternative ist, dass man eine Nische findet, die man mental erobern und dauerhaft besetzen kann. Global gesehen, findet man die besten Beispiele dazu in der Welt der sogenannten Hidden-Champions. Würth steht für Schrauben, Rational für Kombidämpfer, Otis als Pionier und Weltmarktführer für Aufzüge. Engel steht für Spritzgussmaschinen, Palfinger für Lkw- und Schiffskräne, Rosenbauer für Feuerwehrautos, Microtec für Woodscanning, Teamviewer steht für Fernwartungslösungen, DeepL für Übersetzung und Winterhalter für gewerbliche Spülmaschinen. Simon-Kucher wurde zu einer der erfolgreichsten globalen Unternehmensberatungen mit dem Fokus auf Pricing oder Preismanagement. 
Speziell in den unendlichen Weiten der Online-Welt mit ihren unzähligen Communities wird dieser Ansatz massiv an Bedeutung gewinnen. Denn jede Community bietet letztendlich die Chance, dass man dort führende Marken etabliert. Aber auch hier ist Spezialisierung alleine zu wenig. Es macht nur dann wirklich Sinn, wenn man sich damit eine eigene Führungsposition schafft bzw. schaffen kann. Der entscheidende Punkt dahinter: Führende Spezialisten haben ähnlich wie Marktführer oder Originale einen besonderen Platz in unserer Wahrnehmung.

Es gibt einfach keine „One size fits all“- Markenstrategie. Fazit: Starten Sie immer zuerst mit dem mentalen Kontext und entwickeln Sie erst dann die dazu passende Strategie. Punkt!

Vorsicht vor Patentrezepten

Genau hier sollten Markenverantwortliche auch vorsichtig sein, wenn Ihnen „Mache A und B wird passieren“-Erfolgsrezepte präsentiert werden. Denn genau diese Art von Anleitungen vernachlässigen nicht nur oft den mentalen Kontext, sondern vor allem den entscheidenden Punkt, dass ein Marktführer anders denken und handeln muss als ein Herausforderer, Mitläufer, Nischenplayer oder ein Start-up- Unternehmen. Es gibt einfach keine „One size fits all“-Markenstrategie. Fazit: Starten Sie immer zuerst mit dem mentalen Kontext und entwickeln Sie erst dann die dazu passende Strategie. Punkt!

Bilder zum Artikel:
Autorin(nen) / Autor(en):
Spezialist für strategische Marken- und Unternehmens- positionierung in Rohrbach, Oberösterreich und Associate
Ries & Ries