Praktiker: Mit Dauerrabatt im freien Fall

Praktiker: Mit Dauerrabatt im freien Fall

Praktiker wird abgewickelt. Die Baumarktkette ist ein Lehrbeispiel dafür, wie man ein Unternehmen mit anhaltend falscher Preis- und Rabattpolitik zu Grunde richten kann. Der Fall enthält wichtige Lehren für das Preismanagement.

Mit dem Slogan „20 Prozent auf alles – außer Tiernahrung“, der so oder ähnlich über einige Jahre lief, war Praktiker nach OBI zur zweitgrößten deutschen Baumarktkette aufgestiegen. Später warb Praktiker mit Rabatten von 25 Prozent für bestimmte Produktgruppen, z.B. „25 Prozent auf alles, was einen Stecker hat“. Praktiker positionierte sich als der aggressivste Billiganbieter unter den Baumarktketten und definierte sich so nur noch über den Preis und nicht über den Kundennutzen. Ein Slogan lautete sogar: „Hier spricht der Preis.“
Letztendlich führten die zu häufigen, zu aggressiven und zu umfangreichen Rabattaktionen Praktiker ins Desaster. Scheinbar ermöglichte die Kostenstruktur keinen Dauerrabatt. Die Rabattpolitik war somit ein Holzweg und musste aufgegeben werden. Doch als man diesen gewagten Schritt im Laufe des Jahres 2010 umsetzte (Ende 2010 lief der „20 Prozent auf alles“-Slogan zum letzten Mal), hatte Praktiker bereits bei Kunden ein Dauerrabatt-Preis-Image und die Marke war nachhaltig beschädigt. Nach dem Ende der aggressiven Rabattpolitik liefen Kunden in Scharen davon: Den höheren (Normal-)Preisen stand keine verbesserte Leistung gegenüber. Praktiker hatte sich mit seiner Rabattpolitik selbst in den Abgrund gestoßen.
Der Fall Praktiker zeigt, wie vorsichtig Unternehmen im Umgang mit Rabatten sein und worauf sie besonderes Augenmerk legen müssen. Erstens: Eine Discount-Strategie kann sich nicht jeder leisten. Zweitens: Rabatte dürfen nicht zur Droge werden.

Eine Discount-Strategie kann sich nicht jeder leisten

Es ist gefährlich, wenn ein Unternehmen seine Positionierung ausschließlich am niedrigen Preis festmacht. Das Unternehmen muss im Detail wissen, wie es seine Kosten auf das dafür notwendige Minimum reduziert und diesen Kurs konsequent durchsetzen. Der Vorzeige- Discounter Aldi konzentriert sein Sortiment deshalb knallhart auf das Wesentliche. Das Sortiment ist gerade breit genug, um die Wünsche der Kunden zu befriedigen, aber an wirklicher Tiefe fehlt es im Regal. Ja, es gibt Marmelade. Aber im Gegensatz zum Vollsortimenter gibt es nur wenige (Eigen-) Marken und keine riesige Auswahl. Ähnlich wie Aldi geht auch Ikea vor: Auf allen Stufen der Wertschöpfungskette versteht es das Unternehmen, Kostenvorteile zu nutzen. So wird günstiges Material verwendet und in großen Mengen produziert. Außerdem lagert Ikea alle teuren Vorgänge an den Kunden aus, indem der Kunde seine Möbel selbst montieren muss und die Lieferung entfällt. Jeder kann seinen neuen Schrank eben direkt im Auto mitnehmen.
Ist ein Unternehmen hinsichtlich seiner Kosten so konsequent wie Aldi und Ikea, kann eine Discount- Strategie tatsächlich funktionieren. Wer eine solche Strategie in Betracht zieht, sollte also im Vorfeld genau hinsehen und dann mit spitzem Bleistift rechnen. Um die negative Gewinnwirkung von 20 Prozent Rabatt zu kompensieren, braucht man bei typischen Kostenstrukturen eine Verdoppelung der Absatzmenge. Diese wird in der Realität fast nie langfristigerreicht.

Rabatte dürfen nicht zur Droge werden

Rabatte sind ein typisches Phänomen im Einzelhandel. Auf fehlenden Umsatz gibt es meist nur eine Antwort: Rabattmaßnahmen! Das Unternehmen benötigt Cash, eine lautstark kommunizierte Aktion lockt die Käufer an und Geld sprudelt in die Kassen. Zumindest vorerst. Häufig sind Rabattmaßnahmen bei ihrem ersten Einsatz sogar sehr wirkungsvoll: Die gewünschten Umsatzziele werden erreicht, der Deckungsbeitrag leidet nicht übermäßig oder steigt sogar. Dies wiederum verführt zu einem erneuten, verstärkten Einsatz von Rabatten. Oftmals lässt die Wirkung dann jedoch schnell nach. Die Antwort: mehr von demselben! Eine derart in Schwung gekommene Spirale ist nur schwer zu stoppen, da der Anteil des Umsatzes, der mit einer Reduzierung des Preises „erkauft“ wurde, immer größer wird. Wenn ein Händler zu lange wartet, ist ein Ausstieg aus der Rabatt- Droge nur durch einen schmerzhaften Entzug möglich. Aber welche Möglichkeiten hat ein Händler, um auszusteigen? Er kann sich auf Rabattmaßnahmen konzentrieren, die eine positive Wirkung für das Unternehmen haben. Denn: Nicht jeder Rabatt ist schlecht! Oder aber er stellt auf einen Dauerniedrigpreis um und verzichtet damit nahezu vollständig auf Rabattmaßnahmen.

Konzentration auf die richtigen Rabattmaßnahmen

Wie kann ein Unternehmen also Rabattmaßnahmen durchführen, die einen positiven Effekt haben? In der Praxis hat sich gezeigt, dass ein Vorgehen in vier Schritten bei Auswahl und Durchführung geeigneter Maßnahmen sinnvoll ist.

Schritt 1: Zieldefinition
Für jede Rabattmaßnahme muss es Ziele geben. Und zwar nicht nur eins. Sowohl monetäre Zielgrößen (z.B. Absatz-, Umsatz- und Deckungsbeitragswirkung) als auch nichtmonetäre Zielgrößen (z.B. Planungs- und Koordinationsaufwand, Imagewirkung, Wirkung auf parallel durchgeführte Maßnahmen) sollten berücksichtigt werden. In einem zweiten Schritt werden die definierten Bewertungskriterien gewichtet. Für die Festlegung und Gewichtung der Zielgrößen sind Ziele und Strategie des Unternehmens ausschlaggebend: Was will das Unternehmen erreichen? Wie will das Unternehmen seine Ziele erreichen? In einem gemeinsamen Workshop können diese Fragen geklärt werden.

Schritt 2: Maßnahmenplanung
Im Rahmen der Maßnahmenplanung wird jede einzelne Rabattmaßnahme hinsichtlich Zielerreichung bewertet. Bei monetären Zielgrößen hilft die Datenanalyse von Rabattmaßnahmen aus der Vergangenheit. Bei nicht-monetären Zielgrößen bieten sich Experteninterviews sowie Kundenbefragungen an. Anschließend wird für jede Rabattmaßnahme ein „Aktions-Score“ ermittelt. Dieser ergibt sich durch Multiplikation der Zielgrößengewichtung einer Rabattmaßnahme mit der jeweiligen Bewertung. Somit erhält jede Rabattmaßnahme einen unterschiedlichen Aktions-Score. Die Bewertung der Rabattmaßnahmen bietet eine gute Leitlinie für die Auswahl der wirksamsten Maßnahmen. Zum Abschluss der Planung wird eine Wirkungsprognose der Maßnahmen auf die einzelnen Zielgrößen vorgenommen.

Schritt 3: Maßnahmenumsetzung
Für den Einsatz von Rabattmaßnahmen sind strikte Regeln zu definieren. So kann das Unternehmen genau die Maßnahmen optimal nutzen, für die eine positive Wirkung prognostiziert wurde. Außerdem sollte auch festgelegt werden, dass die parallele Durchführung verschiedener Rabattmaßnahmen weitestgehend vermieden wird. Zu viele gleichzeitige Maßnahmen verwirren sowohl Mitarbeiter als auch Kunden. Des Weiteren kann dies häufig zu Fehlern bei der Rabattvergabe und zur Verärgerung von Kunden führen. Ähnliches gilt für taktisch eingesteuerte Maßnahmen, die aufgrund ihrer Kurzfristigkeit meist unzureichend geplant sind. Das wiederum hat zwangsläufig eine schlechte Durchführung und Wirkung zur Folge.

Um die negative Gewinnwirkung von 20 Prozent Rabatt zu kompensieren, braucht man bei typischen Kostenstrukturen eine Verdoppelung der Absatzmenge. Diese wird in der Realität fast nie langfristig erreicht.

Schritt 4: Maßnahmen-Controlling
Das Maßnahmen-Controlling beginnt mit der Analyse der Maßnahmenwirkung. Durch eine detaillierte Datenanalyse der Vor-, Aktions- und Nachlaufphase einer Rabattmaßnahme wird die Auswirkung auf monetäre Bewertungskriterien ermittelt. Einflüsse auf nichtmonetäre Bewertungskriterien werden durch Kundenbefragungen in Einzelinterviews oder Fokusgruppen bestimmt. Der Erfolg einer Rabattmaßnahme ergibt sich schließlich aus einem Soll-Ist-Vergleich: prognostizierte Wirkung aus der Maßnahmenplanung vs. tatsächlich erzielter Wirkung. Positive und negative Abweichungen gilt es zu ergründen; die Lerneffekte und Erfahrungen bieten dabei die ideale Basis zur Optimierung zukünftiger Maßnahmen.
Wenn die beschriebenen vier Schritte beim Management von Rabattmaßnahmen konsequent eingehalten werden, wird schnell sichtbar, auf welche Maßnahmen verzichtet werden kann, ohne dass ein großes Umsatzrisiko entsteht. Außerdem ist bei entsprechender Zielsetzung nicht nur von einem Anstieg des erzielten Deckungsbeitrags bzw. Brutto-Gewinns auszugehen, sondern auch von einer nachhaltigen Verbesserung des Preis-Image.

Dauerniedrigpreis als Alternative zu Rabattmaßnahmen

Was aber muss ein Unternehmen beachten, um auf eine Dauerniedrigpreis-Strategie umzustellen? Zunächst muss sich das Unternehmen darüber im Klaren sein, dass diese Umstellung nahezu ein kompletter Verzicht auf sonstige Rabattmaßnahmen bedeutet. Es kann zwar saisonale Abverkäufe und Artikel geben, aber es sollte keine regelmäßige Wurfbeilage mit preisreduzierten Angeboten regulärer Artikel aus dem Sortiment mehr geben. Ein solches Konzept verfolgt der Baumarktanbieter Hornbach sehr erfolgreich.
Dauerniedrigpreis heißt auch nicht, dass alle Artikel im Sortiment besonders günstig sind. Um diese Strategie gewinnbringend durchzusetzen, muss das Sortiment in unterschiedliche Artikelrollen unterteilt werden. Insbesondere Artikel, die besonders im Fokus des Kunden stehen und bei denen das Preiswissen hoch ist, sollten dauerhaft günstig sein. Hier vergleicht der Kunde und vertraut auf das günstige Preis-Image des Anbieters. Wichtig ist dabei, diese Artikel zu identifizieren und ihre Preisentwicklung im Wettbewerbsumfeld zu beobachten. Nur wenn deren Preis auch im Marktumfeld attraktiv/niedrig ist, wird der Dauerniedrigpreis insgesamt als solcher wahrgenommen. Den Weg raus aus der Rabatt-Droge und hin zum Dauerniedrigpreis wählte auch der Einzelhändler Woolworth. Woolworth ging im April 2009 in die Insolvenz und wagte danach einen völligen Neustart. Der Vorstandsvorsitzende Dieter Schindel sprach bereits damals vom „Praktiker-Syndrom“, unter dem auch Woolworth gelitten habe. Das veränderte Woolworth-Konzept kam ohne ständige Rabattaktionen („Praktiker- Syndrom“) aus. Stattdessen wurden die Preise für rund 400 Artikel dauerhaft gesenkt.

Von Praktiker lernen und genau hinsehen

Was können Unternehmen besser machen als unser Lehrbeispiel Praktiker? Wer sich vor der Entscheidung für eine Dauerniedrigpreis-Strategie mit seinen Kosten intensiv auseinander setzt und genau rechnet, wird schnell wissen, ob eine solche Strategie für ihn geeignet ist. Wer eine Dauerniedrigpreis-Strategie oder effektive Rabattmaßnahmen richtig umsetzen möchte, muss realistische Ziele definieren und deren Erreichung ständig kontrollieren. Nur wer sich am Anfang – mit Analysen im Detail – die Finger schmutzig macht, wird am Ende auch das Gewünschte ernten.
Wer jedoch wie Praktiker zu viele Rabatte auf zu viele Artikel zu häufig bei unzureichenden Kostenvorteilen vergibt, riskiert den freien Fall für sein Unternehmen.

Bilder zum Artikel:
Autorin(nen) / Autor(en):
Senior Consultant
Simon-Kucher
Partner
Simon-Kucher
Director
Simon-Kucher