Neue Chancen für Markenführung und -kommunikation nach der Vertrauenskrise

Neue Chancen für Markenführung und -kommunikation nach der Vertrauenskrise

Die aktuelle Finanzkrise ist eigentlich bereits die dritte globale Krise 2008/9. Nach der Klimakatastrophe und der Hungersnot der Dritten Welt droht uns nun der Exodus der kreditbasierten „Genuss- und Wachstumsbeschleunigung“. Doch das Ende des frivolen, sprich unseriösen, substanzlosen, sorglosen Kapitalismus läutet gleichzeitig eine neue Ära der „Neo-Seriosität“ ein, die Genuss mit globaler und persönlicher Nachhaltigkeit, Geistigkeit und Kultiviertheit verbindet. Was bedeutet diese „post-frivole“ Umwertung der Werte nun für Markenführung und -kommunikation? Was bedeutet dieser Werte-Shift für die Markenverantwortlichen neben den kurzfristigen, beliebten und geübten Maßnahmen, wie beispielsweise der planlosen Reduzierung der Mediabudgets oder einer kurzfristigen Schaltung von Nachhaltigkeitskampagnen?

Ist die Finanz- und Wirtschaftskrise überhaupt eine Krise der Marken? Die Antwort lautet „Jein“. Natürlich werden die „Marken“, deren Werte und Bekanntheit nur mit großen Mediabudgets simuliert und stimuliert wurden, genauso in sich zusammenfallen wie die überbewerteten Aktienwerte. Und das ist auch gut so und hat bei jährlich über 100 000 Markenanmeldungen in Europa einen entlastenden Effekt. Die positive Seite der Krise ist daher, dass echte Substanz für den Kunden wieder an Kommunikationswert gewinnt. Damit sind die Marken gemeint, die ihr Leistungsversprechen halten, ihre Werte glaubwürdig vermitteln und so eine Kundenbindung und eine starke Weiterempfehlung erreichen. Nur starke Marken und nicht die kommunikativen Marken-Scheinriesen werden psychologischen und für die Unternehmen ökonomischen Wert schaffen.
Starke Marken basieren auf Leistung und nicht auf Kommunikation. Marken haben in ihrer ursprünglichen Funktion die Aufgabe, Vertrauen zwischen Hersteller und Konsumenten herzustellen. Dieses Vertrauen fußt auf der real vermittelten und wahrgenommenen Spitzenleistung des Produkts oder der Dienstleistung in Form von Produktnutzung, Verpackung oder Werbung. Durch die kontinuierliche Wahrnehmung der Markenspitzenleistung manifestiert sich diese in der Wahrnehmung der Kunden zu Werten, wie etwa Mercedes und „Qualität“, Audi und „Technik“.
Und so entstehen Marken in erster Linie durch die wahrgenommene Leistung und nicht durch Kommunikation. Doch etwa zeitgleich mit Beginn der Finanz- Hybris in den Achtzigern hat sich die Markenführung von dieser Wesentlichkeit entfernt. Marke wurde mit ihrer Kommunikation verwechselt und selbstreferentiell mit Lifestylecodes und Werbung befeuert. Marke wurde gleichgesetzt mit Kommunikation und damit ihren Leistungswurzeln und ihrer Substanz entrissen.
Kombination des Urwesens der Marke mit neuen Technologien, soziokulturellen Trends und dem Kunden des 21. Jahrhunderts:
Aus dieser Werbe-Hybris der Advertising-Ära, in der sich die Werbung der Markenführung bemächtigt und austauschbare Kreativkampagnen mit Markenführung sowie Bekanntheit mit Begehrlichkeit gleichgesetzt hat, werden die Brands nun schmerzvoll geweckt. Doch sie bekommen gleichzeitig die Chance, Kommunikation und Leistungssubstanz wieder zu vereinen, um das Konsumentenvertrauen zurückzuverdienen. Nämlich indem sie sich von der substanzlosen Kommunikationskakophonie des „frivolen (Werbe-) Zeitalters“, wie es Peter Sloterdijk ausdrückte, befreien. Allerdings darf die Zukunftsgestaltung nach der Krise dabei weder im Rückgriff zum Bewährten, im Marken-Biedermeier enden, noch im Kosmos des Mitmach-Web 2.0. Vielmehr geht es um eine Verknüpfung des Urwesens der Marke mit neuen Technologien, soziokulturellen Trends und dem Kunden des 21. Jahrhunderts.

Was Neo-Branding bedeutet:

Klassische Markenkommunikation mit einem renovierten Bewusstsein und einer Rückbesinnung auf gutes Kommunikationshandwerk. Es impliziert authentische Kommunikation, die ko-kreativ mit dem Kunden auf Basis eines hervorragenden Produkts eine phantasievolle „Erzählung“ entwirft, die dem Konsumenten das Erlebnis einer sinnvollen, genussvollen, ökologisch und ethisch einwandfreien Zukunft mit der Marke an allen Kontaktpunkten eröffnet. Folgende sieben Punkte sind dabei für ein renoviertes Markenbewusstsein im 21. Jahrhundert Voraussetzung:
1. Werthaltige Markenführung impliziert Spitzenleistungskommunikation: Prinzipiell impliziert die „Krise des Oberflächlichen“ eine große Chance für echte und authentische Marken. Die Krise wird zu einer beschleunigten Bereinigung von substanzlosen Kommunikations- und Imagemarken und ineffizienten Werbeformen führen. Marken, die nicht über echte Spitzenleistungen verfügen und diesen Mangel durch kreative Illusionskampagnen gemäß dem Motto „wir müssen emotionaler werden“ und coole Logos wettmachen wollen, werden noch mehr an Relevanz verlieren und den Discountern zum Opfer fallen. Trennen Sie sich von Imagewerbung und inszenieren Sie die Spitzenleistungen Ihrer Produkte!
2. Das Produkt muss wieder Kern der Marke werden: Wenn Marke also der verdichtete Ausdruck von Spitzenleistungen ist, heißt das auch, dass das Produkt mit seinem individuellen Mehrwert wieder zum Kern der Marke und der Kommunikation werden muss. Eine gute Kommunikation macht mittelmäßige Produkte nicht besser. Die Kunden durchschauen eine derartige Manipulation heute sofort. Der Spruch „Produkte sind austauschbar“ wird damit nun hoffentlich endlich zu den überholten Wahrheiten gehören. Individueller Mehrwert eines Produkts bedeutet: hervorragende Rohstoffe und Materialien plus erstklassige maschinelle oder manuelle Verarbeitung plus hohe Funktionalität. Widmen Sie sich wieder dem Produkt.
3. Markenprodukte kommunizieren sich über ihr Design selbst: Design stellt längst nicht mehr nur eine hohle Form, sondern Funktion dar. Und: Design wird zukünftig noch mehr ein spezifischer Ausdruck der Persönlichkeit des Produkts sein – und damit eine emotionale und intuitive Identifikationsebene für den Verbraucher. Ein gutes Produkt braucht kaum Werbung. Es kommuniziert sich selbst, und das nachhaltig. Markenführer müssen also in Zukunft zuerst Produktdesigner und dann Kommunikationsexperten sein.
4. Ko-kreative Inspiration statt passiver Penetration: Der individualisierte mündige Kunde sieht Marken als Spielplatz für sein Selbstdesign. Er möchte an „seinem“ Produkt mitbasteln können, keinen Standard konsumieren. Der Konsument von morgen möchte sich nicht einem Markenimage unterordnen, sondern dem Produkt selbst eine individuelle Bedeutung verleihen. Markenführung heißt somit, ein Identifikationsangebot für den Kunden zu schaffen – aber immer im offenen Dialog und nicht durch Penetration von Markenimages. Öffnen Sie Ihre Marke für den Kunden, bieten Sie ihm Module zum Selbstdesign an und inspirieren Sie ihn in seiner Entwicklung und Distinktionsfähigkeit.
5. Klassische Werbung als i-Tüpfelchen der Authentizität:
Bereits heute vertrauen die Konsumenten im Wesentlichen den sozialen „Medien“ wie Bekannten und Freunden, weniger der klassischen institutionellen Werbung. Und immer wichtiger wird dabei der Dialog mit anderen Verbrauchern auf virtuellen Konsumentenplattformen, die ein Produkt, eine Markenleistung dekonstruieren, bewerten und weiterempfehlen. Unternehmen können diese neue Konsumentenmacht nur wenig beeinflussen, bestenfalls moderieren und Verbindungen („Links“) ermöglichen. Unternehmen und Produkt müssen daher durch sich und ihre Authentizität überzeugen, die klassische Werbung kann deren Philosophie höchstens noch vermitteln. Briefen Sie Ihre Agentur auf eine Kampagne ohne klassische Werbung in TV und Print. Dann können Sie sehen, wie gut Sie und wie fit für die Zukunft Ihre Agentur für das 21. Jahrhundert wirklich sind.
6. Der Aufbau von Marken dauert Jahre und nicht Quartale: Eine Marke benötigt mindestens drei bis fünf Jahre, um einen In-Brand-Status in ausgewählten Communities zu erlangen, und zehn bis 15 Jahre, um eine Star-Brand mit gewisser Breitenwirkung zu werden. Nespresso wartete 15 Jahre auf seinen Erfolg, Puma benötigte drei Fünfjahrespläne, um von der Out-Brand zur Star- Brand zu werden. Markenführung lässt sich nicht an Kampagnenerfolgen messen, sondern an dem Umsetzungswillen des gesamten Unternehmens, die spezifischen Werte an allen Kontaktpunkten zu leben. Markenführung ist Chefsache und setzt Markenbotschafter in allen Abteilungen voraus. Die Mitarbeiter müssen die Markenwerte leben. Nur so kann eine Marke authentisch für den Kunden zum ganzheitlichen Markenerlebnis werden. Erstellen Sie einen Fünfjahresplan.
7. Neo-Ökologie als neues Werteset für Premium- Marken: Marken der Zukunft müssen nicht nur hervorragende Qualität oder besondere Performance bieten, sondern auch die Lebensqualität fördern, ökologisch einwandfrei und ethisch korrekt sein. Das kann offensiv als USP der Marke genutzt oder zumindest als glaubwürdiges Werteset auf Rückfrage dargelegt werden. Marken, die diesen Nachhaltigkeitssprung nicht schaffen, werden erheblich an Relevanz bei den stil- und meinungsbildenden Schichten der kreativen Klasse sowie bei den Best Agern verlieren. Erstellen Sie einen Neo-Ökologie-Check für Ihr Portfolio und leiten Sie schleunigst die Transformation in eine nachhaltige Produkt- und Unternehmenspolitik ein.

Autorin(nen) / Autor(en):
Executive Brand Consultant
Brand:Trust