Mit Storytelling Marken erlebbarer machen

Mit Storytelling Marken erlebbarer machen

Dass Storytelling in der Markenführung heute diskutiert und eingesetzt wird, begründet man meist damit, dass viele der klassischen Instrumente im Kommunikationsmix wie TV-Werbung, Promotion, PR, Product Placement, Sponsoring oder der Einsatz von Prominenten stumpf geworden sind.Diese Art Werbung wird breit gestreut eingesetzt und im Information Overload immer weniger wahrgenommen. Werbung für Marken muss stärker emotionalisert auftreten und mehr Unterhaltung bieten.

Das aber ist nicht der wirkliche Grund, dass wir uns in der Markenführung mit Storytelling befassen, sondern nur ein nachträgliches Rationalisieren. Der wahre Grund ist – wie so häufig im Marketing: Da hat einer einen Begriff in die Welt gesetzt, der auch noch gut von der Zunge und ins Ohr geht. Der wird schnell weitergetragen, immer mehr springen auf – und der nächste Hype ist schon da. Umso mehr müssen wir uns intensiv damit beschäftigen, ob Storytelling für die Führung einer Marke wirklich infrage kommt.

Warum Storytelling in der Markenführung?

Weil viele Marken bewegende und nachvollziehbare Geschichten zu erzählen haben. Geschichten, die einmalig sind, die nur für diese eine Marke zutreffen. Geschichten haften besser, weil sie im Hirn der Menschen Bilder erzeugen, die leichter merkbar sind als Begriffe und Texte z.B. in einer Anzeige oder einem TV-Spot. Es entstehen „Vorstellungsbilder“, die auch komplexe Zusammenhänge entschlüsseln, merkfähig und abrufbar machen. Auch deshalb, weil sie in die Botschaften der Kommunikatoren unaufdringlich, aber glaubhaft eingebettet sind.
Hirn- und Gedächtnisforscher sprechen von einem episodischen Gedächtnis, in dem Menschen ihre eigenen Erfahrungen ablegen und aufrufen. Hier ist der Platz für das Ablegen, Verwalten und Abrufen von Marken-Stories. Sind sie doch auch Erfahrungen, selbst gemachte Marken- Stories, die selbst Geschichte schrieben.
Sie kennen sie alle – und werden gleich die Marke entdecken, wenn Sie nur einige Stichworte bekommen:

1 Markus und Daniel, sie stammen aus Davos, leben 1993 nahe der Hardtbrücke in Zürich. Der eine war Graphikdesigner, der andere Student. Sie ärgerten sich immer wieder darüber, dass sie ihre Graphikunterlagen nur schwer durch Regen und Schnee transportieren konnten. Als sie eines Tages aus dem Küchenfenster auf den Fernlastverkehr schauten, kamen sie auf die Idee, aus alten Lkw-Planen eine Kuriertasche zu schneidern.
2 Er steht mit seinem Freund am Zürichsee und schaut den Leuten zu, wie sie den weißen Vögeln von der Brücke aus Brot zuwerfen. Das war in den End-40er-Jahren. „Die waren so hungrig, dass sie das Brot zur Hand herausrissen", erzählt er später. Er war so fasziniert von der Art, wie sich die Vögel im Vorbeiflug Brotstücke schnappten, und meinte: Genauso sollten sich seine Gäste in seinem Restaurant verpflegen: Schnell, unkompliziert und ohne verpflichtet zu sein, eine ganze Mahlzeit zu bestellen.
3 Er ärgerte sich über die Merkzettel in seinem Gesangbuch, die beim Umblättern herausfielen – und er stand ohne die nächsten Strophen da. Was tun? Normale Klebestreifen oder eine Stift-Markierung hätten sein Gesangbuch beschädigt. Dann erinnerte er sich an einen Kollegen, der einen Klebstoff erfinden wollte, der an Klebstärke alles Bisherige überbieten sollte. Das Ergebnis seiner Forschungen war das Gegenteil: ein Klebstoff, der überall haftet und sich spielend wieder ablösen lässt, ohne Spuren zu hinterlassen. Für so einen Klebstoff gab es keine Verwendung – bis der Chorsänger auf die Idee kam, seine Merkzettel mit Proben dieses Klebstoffs einzustreichen. Das neue Produkt war geboren.
4 Es war einmal ein August Horch. Der hatte eine Firma, die Automobile baute. Weil sie ihm nicht progressiv genug war, hat er sie 1909 verlassen, um eine neue Firma aufzubauen. Das hat man ihm erlaubt, nur durfte er ihr nicht seinen eigenen Namen geben. Sein Sohn hat ihm damals, vor hundert Jahren, zugeflüstert: „Mach’s doch in Lateinisch.“
5 Die Schokolade und das Matterhorn. Doch der zackige Felsen stand nicht Modell für die berühmte Schokolade, sondern knackige Tänzerinnen 1906 in den Folies Bergères. Die Revuegirls türmen sich zu einer Pyramide auf, in einer anderen Folge stehen sie mit abgewinkeltem Oberkörper und gespreizten Beinen hintereinander in einer Reihe. Das soll nicht nur die Dreiecksform, sondern auch die Zacken erklären. Eine wahre Geschichte? – auf jeden Fall eine gute Story.
6 Da steht einer vor der Himmelstür und verhandelt mit Gottvater, um sich in letzter Sekunde von der verfrühten Aufnahme in den Himmel freizukaufen.
7 Der Claim ist mittlerweile zum Sprichwort geworden. „Wer hat's erfunden?“ Ob bei finnischen Sauna-Gängern, bei langbärtigen Chinesen oder bei dick eingepackten Eskimos: „Botschafter“ Erich Vock scheut keinen Weg, um die Wahrheit zum Ursprung der feinen Bonbons zu verbreiten.

Wie unterschiedlich Stories über Marken und Unternehmen sein können, zeigt diese kleine Siebener-Auswahl. Von Geschichten, die auf das Engste mit der Marke durch die Idee des Gründers verbunden sind, bis hin zu Geschichten, die neu mit der Marke verbunden werden.

Wie wirkt Storytelling?

Das Ziel des Storytellings in der Markenführung ist, Marken für Menschen erlebbarer zu machen, Menschen an die Marke zu binden, Menschen zur Marke zu führen. Storytelling soll – wie der Einsatz einer Melodie, eines Klangs – sofort den Bezug zu dieser einen Marke herstellen.
Richtig eingesetzt, wirkt Storytelling anders als alle anderen Instrumente der Kommunikation. Weil die Geschichte direkt und unzweifelhaft zur Marke gehört – und nur zu dieser Marke. Storytelling ist eben eine unaufdringliche, aber glaubhafte Form, eine Botschaft zu vermitteln. Ganz im Gegensatz zu mancher Werbung.

Storytelling muss von innen heraus aus dem Unternehmen und der Marke kommen.

Es gibt Menschen, die von sich behaupten, dass sie mit der Zeit werberesistent geworden sind, weil sie der Werbung überdrüssig sind. Einer Geschichte dagegen bringen wir Sympathie entgegen, weil sie uns interessiert, weil sie für uns spannend ist. Storytelling bietet die Möglichkeit, Menschen aus dem immer stärker werdenden Informations-Gezwitscher und -Gewitter herauszureißen. Und noch etwas: Gute Geschichten kann man immer wieder anhören. Entweder erneut das Original (Dinner for One, erste Ausstrahlung am 8. Juli 1963) oder mit Fortsetzungen wie bei Nespresso oder Ricola. Die Gefahr der Abnutzung, des Wearout, des werblichen Overkills ist hier nicht gegeben.
Geschichten wirken im Markt und im Unternehmen. In beiden Feldern erzeugen sie Nähe und Bindung von Menschen an die Produkt-Marken oder Unternehmens- Marken. Weil man sich über die glaubhaften Stories leichter mit der Marke identifizieren kann. Also zu ihr steht. Auch in schwierigen Situationen und Zeiten.
Mitarbeiter des Unternehmens werden zu Storytellern, zu Marken-Botschaftern, die etwas Einmaliges zu berichten haben. Doch das werden sie nicht von allein. Dazu braucht es ein Training, das Sie mit Ihren Mitarbeitern als Einstieg und laufend absolvieren müssen.

Woher die Stories?

Es geht um besondere, einzigartige Geschichten von einer Marke. Holen Sie sich keine Stories durch Zukauf auf dem freien Markt. Erzählen Sie nur Stories, die ausschließlich Sie erzählen können. Und: Machen Sie beim Telling deutlich, dass das Ihre ureigene Story ist. Ihre Story muss an Ihnen „kleben“.
Es geht um die Vita Ihrer Marke: Nicht nur die Geburt in der Garage, sondern auch interessante Lebensabschnitte, Highlights aus dem Leben der Marke. Nicht nur Erfolge, sondern auch Krisen und deren Überwindung.
Dazu braucht es die Kenntnis der Geschichte des Unternehmens und der Marke. Gehen Sie in Ihr Firmenarchiv oder ein öffentliches Archiv. Aktivieren Sie die Mitarbeiter Ihres Unternehmens. Vor allem Senioren, die frühe Zeiten miterlebt haben.
Um das Wissen von Mitarbeitern zu aktivieren, hat Mitte der 1990er-Jahre das MIT – Massachusetts Institute of Technology den „Learning-Histories“-Ansatz entwickelt. Mittels Interviews wird das (Erfahrungs-)Wissen von Mitarbeitern über bestimmte Ereignisse im Unternehmen (z.B. neue Produkte, Flops, Fusionen) zusammengetragen.
Fragen Sie in der Produktion und in F&E nach Besonderheiten bei den Rohstoffen, Verfahren, Patenten und Abläufen in der Herstellung. Auch hier finden sich – oftmals versteckt – Besonderheiten, zu denen sich Geschichten schreiben und erzählen lassen.
Eine ganz wichtige Quelle für Stories zu einer Marke sind die Kunden: Wie Kunden die Marke entdeckt haben, wie sie unser Produkt zu ihrer Marke machten. Welche Anwendungen, Nutzen schätzen die Kunden besonders? Haben unsere Kunden neue Anwendungen entdeckt oder entwickelt? Wählen Sie Mitarbeiter mit intensivem Kundenkontakt aus, die gezielt mit einzelnen Kunden über mögliche Stories sprechen. Trainieren Sie die Mitarbeiter für diese Aufgabe.
Lassen Sie sich also von Ihren Kunden Stories tellen. Das sind wahre Begebenheiten. Die überzeugen auch Noch-Nicht-Kunden.
Storytelling eignet sich besonders gut für den Einsatz in Social Media, da Dritte mithelfen, eine Story weiter zu verbreiten. Wenn sie interessant oder spannend genug ist, um sie an „Freunde“ weiterzugeben. Dieses „Digitales Storytelling“ verbindet die uralte Tradition des mündlichen Geschichtenerzählens mit multimedialer Computertechnik.

Fehler, die Sie unbedingt vermeiden sollten

Bringen Sie nur Stories, die authentisch zu Ihrer Marke passen. Die zu Ihrer Marke gehören. Bringen Sie keine „geliehenen“ Stories, sondern ausschließlich Stories aus dem Leben Ihrer Marke.
Stellen Sie die entscheidende Prüffrage: Könnte diese Story auch von einem anderen Unternehmen in der Kommunikation eingesetzt werden? Egal ob direkter Konkurrent oder in einem ganz anderen Markt tätig. Verhindern Sie damit, dass Ihre Geschichte mit falschen Marken assoziiert wird.
Prüfen Sie auch, ob Sie mit Ihrer geplanten Story einer schon bekannten Story zu nahe kommen. Die Juristen kennen unter dem Begriff „Imitationsmarketing“ heute viele neue, bisher unbekannte Möglichkeiten der Plagiats- Abmahnung. Stellen Sie also sicher, dass Ihre Story keine Verwechslungen mit anderen Stories zulässt. Nicht nur im juristischen Sinn, sondern vor allem, was die Einmaligkeit für den Empfänger bedeutet.
Und: Sorgen Sie dafür, dass Ihre Geschichte kein Eigenleben entwickelt, sich nicht verselbstständigt, sich nicht von Ihrer Marke abkoppelt, also aus der Kontrolle Ihres Unternehmens läuft. Social Media können hier ein Brandherd sein: Wenn bei Facebook die Freunde beim Weitererzählen Ihrer Geschichte – wie bei der bekannten „Stillen Post“ – Ihre Geschichte verändern und sogar ohne Ihre Marke weitererzählen.

Storytelling doch kein Hype?

Storytelling knüpft an an uralte Wirkprinzipien der Kommunikation. Storytelling ist eine neue Möglichkeit, kalte Fakten oder Abstraktes in einer neuen Qualität zu bringen. Die Story erzählt, wofür ein Unternehmen, wofür eine Marke steht – und was diese so einzigartig und damit begehrenswert macht. Stories liefern Bilder, Vorstellungsbilder, wirken emotional und bildhaft. Mit guten und gut erzählten Geschichten lässt sich leichter Vertrauen gewinnen. Weil sie sanfter daherkommen. Auch für die Lösung von Konflikten besteht im Storytelling eine Chance.
Entscheidend für den Erfolg ist: Storytelling muss von innen heraus aus dem Unternehmen und der Marke kommen. Dann ist es authentisch, nicht aufgesetzt, einzigartig, nicht austauschbar. Dann ist es von Erfolg gekrönt. Aus dem Hype wird ein Dauerbrenner.

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Autorin(nen) / Autor(en):
Verleger aus Hamburg und Gründer
Marketing Journal