Markenplanung im Einzelhandel: kartellrechtliche Risiken beim Category Management

Markenplanung im Einzelhandel: kartellrechtliche Risiken beim Category Management

Die Konsumgüterbranche steht im Fokus des Bundeskartellamts. Seit mehreren Monaten geht die Behörde dem Verdacht nach, es habe Absprachen zwischen Markenherstellern und Handelsunternehmen über Endverbraucherpreise gegeben.

Die Ermittlungen konzentrieren sich bislang auf die Produktgruppen Kaffee, Süßwaren und Tierfutter. Dem Vernehmen nach sollen aber weitere folgen. Im Rahmen seiner Ermittlungen wird das Kartellamt die Beziehungen zwischen Industrie und Handel genau unter die Lupe nehmen. Es wäre keine Überraschung, wenn aus diesem Anlass bald auch ein weiteres Thema auf die Agenda käme: die Kooperation bei der Planung von Sortiment und Markenplatzierung, das sogenannte „Category Management“ (CM). Es bietet kartellrechtliche Fallstricke, die es in der Praxis zu vermeiden gilt.

Category Management

Unter Category Management versteht man die kundenorientierte Bewirtschaftung von Warengruppen, bei der Produkte nicht individuell, sondern in Kategorien – etwa Backwaren, Fertiggerichte oder Softgetränke – betreut werden. Kernziele sind eine bestmögliche Nutzung der Regalfläche und eine nachfragegerechte Gestaltung des Sortiments. Eigentlich ist das Management von Warengruppen eine originäre Aufgabe des Einzelhändlers – schließlich geht es um die Gestaltung des von ihm verantworteten Warenangebots. Allerdings setzt die sachgerechte Betreuung einer Warengruppe ein erhebliches Know-how über die einzelnen Produkte und ihr Marktumfeld voraus. Dieses Know-how ist regelmäßig beim Hersteller vorhanden. Er betreibt Marktforschung, beobachtet sein Wettbewerbsumfeld, entwickelt neue Produkte und kennt die Wirkung von produktspezifischen Marketingmaßnahmen. Vor diesem Hintergrund hat sich seit Mitte der 1990er-Jahre zunächst in den USA, später auch in Europa, eine Form der Kooperation zwischen Handels- und Herstellerseite entwickelt, bei der ein Hersteller als „Manager“ für eine bestimmte Produktgruppe agiert. Das Handelsunternehmen wählt aus dem Kreis der Lieferanten für eine Kategorie einen Hersteller aus, der die Rolle des „Category Captain“ übernimmt und den Händler bei der Planung des Sortiments, der Einteilung der Regalfläche sowie der Durchführung von Werbeaktionen unterstützt.
Das Category Management bietet den Beteiligten eine Reihe von Vorteilen. Dazu gehören für den Händler vor allem der Zugang zu marktspezifischem Know-how, die Senkung von Kosten, die Optimierung der Regalfläche und des Lagerbestands sowie die nachfragegerechte Gestaltung des Sortiments. Dem Hersteller verschafft die Rolle als Category Captain eine bessere Integration in das Absatzsystem, eine größere Nähe zum „Point of Sale“ sowie eine Erweiterung seiner Kenntnisse über die Produktkategorie. Auch die Verbraucher profitieren von einem auf ihre Bedürfnisse angepassten Angebot und einer ansprechenden Produktpräsentation.
Dennoch: Beim Category Management ist Vorsicht geboten. Nicht alles, was den Beteiligten sinnvoll und zweckmäßig erscheint, ist auch erlaubt. Das Kartellrecht setzt Grenzen. Werden sie überschritten, drohen erhebliche Bußgelder.

Kartellrechtliche Grenzen

Das vor allem im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) und im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) normierte Kartellrecht dient bekanntlich dem Schutz des Wettbewerbs zwischen konkurrierenden Unternehmen. Vereinfacht betrachtet, lassen sich drei Schutzrichtungen unterscheiden: Das Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen oder abgestimmter Verhaltensweisen zwischen zwei oder mehr Unternehmen, das Verbot der missbräuchlichen Ausnutzung von Marktmacht durch ein oder mehrere Unternehmen sowie die Verhinderung von negativen Marktstrukturveränderungen bei Unternehmenszusammenschlüssen.
Bei der Zusammenarbeit zwischen Herstellern und Einzelhandelsunternehmen im Rahmen des Category Management treten verschiedene kartellrechtliche Konfliktfelder auf. So erscheint nicht ausgeschlossen, dass Hersteller, die mit dem Category Captain konkurrieren, in ihren Absatzchancen behindert werden könnten. Auch die Preisgestaltungsfreiheit des Handelsunternehmens kann durch allzu starke Einflussnahme des Category Captain beeinträchtigt werden. Auf horizontaler Ebene ist denkbar, dass sich Handelsunternehmen oder Lieferanten jeweils untereinander koordinieren, etwa über die Produktauswahl, das Preisniveau oder die Durchführung von Werbeaktionen. Schließlich kann die Rolle als Category Captain bei Zusammenschlüssen zwischen Herstellern als Indiz für eine marktbeherrschende Stellung herangezogen werden.
In den USA werden die kartellrechtlichen Grenzen des Category Management bereits seit Jahren diskutiert. In einem spektakulären Fall aus dem Jahr 2002 wurde ein Category Captain wegen einer Reihe von Kartellrechtsverstößen zu einer Rekordsumme von über einer Milliarde US-Dollar Schadensersatz verurteilt. Auch die US-amerikanische Kartellbehörde hat sich wiederholt mit der Materie befasst. Sie veröffentlichte im Februar 2001 einen umfangreichen Bericht und stellte darin fest, dass das Category Management unter vier Gesichtspunkten kartellrechtliche Bedenken aufwerfe: Es könne zu einem unzulässigen Informationsaustausch kommen, wenn der Category Captain vertrauliche Informationen über das künftige Verhalten und die Strategie von Wettbewerbern erhalte. Außerdem bestehe das Risiko der Behinderung von Wettbewerbern, wenn der Category Captain Entscheidungen des Händlers in Bezug auf Wettbewerbsprodukte beeinfl usse. Hinzu komme das Risiko, dass ein Hersteller, der bei mehreren Handelsketten eine Warengruppe betreut, als „Common Point of Reference“ konkludente Absprachen oder abgestimmte Verhaltensweisen zwischen Händlern erleichtere. Schließlich bestehe die Gefahr von Absprachen zwischen Herstellern, insbesondere wenn ein Händler mehrere konkurrierende Hersteller als Berater einschalte.
In Europa gewinnt das Thema derzeit an Dynamik. So hat die französische Kartellbehörde im März 2010 eine umfangreiche Untersuchung zu den Auswirkungen des Category Management auf den Wettbewerb eingeleitet. Sie wird dazu voraussichtlich im Herbst 2010 einen ausführlichen Bericht vorlegen. Auch die EU-Kommission nimmt in ihren am 20. April 2010 veröffentlichten neuen Leitlinien zu vertikalen Wettbewerbsbeschränkungen näher zu den kartellrechtlichen Implikationen des Category Management Stellung. Danach sind CM-Vereinbarungen wegen der entstehenden Effi zienzgewinne für sich genommen zwar regelmäßig in Ordnung: Wenn die Marktanteile des Lieferanten und des Händlers den Grenzwert von jeweils 30 Prozent nicht überschritten und zwischen ihnen keine sogenannten Kernbeschränkungen vereinbart würden, fi elen CM-Vereinbarungen unter die einschlägige Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Vereinbarungen und seien vom Kartellverbot freigestellt. Bei Überschreitung der Marktanteilsgrenzen komme eine Freistellung im Einzelfall in Betracht. Zugleich betont die EU-Kommission aber, dass CM-Vereinbarungen ein Gefahrenpotenzial bergen. Sie sieht das Risiko des wettbewerbswidrigen Marktausschlusses anderer Anbieter, wenn der Category Captain durch seine Einflussnahme auf Marketingentscheidungen des Händlers den Vertrieb von Produkten konkurrierender Anbieter beschränken oder erschweren kann. Außerdem bestehe die Gefahr einer indirekten Koordination zwischen Händlern, wenn ein Category Captain für fast alle konkurrierenden Händler eines Marktes tätig sei. Entsprechendes gelte auf Herstellerebene, wenn vertrauliche Informationen durch Vermittlung des Händlers ausgetauscht werden. Hinzu kommen mehrere von der EU-Kommission nicht ausdrücklich angesprochene Risikofaktoren, insbesondere das für einen marktbeherrschenden Category Captain geltende Verbot der missbräuchlichen Ausnutzung seiner exponierten Stellung, das in Deutschland speziell geregelte Boykottverbot sowie das Verbot, Absprachen über Endverkaufspreise zu treffen.
Vor diesem Hintergrund sind Unternehmen sowohl auf Hersteller- als auch auf Handelsseite gut beraten, bei der Gestaltung von CM-Verträgen und deren Durchführung stets die kartellrechtlichen Grenzen im Auge zu behalten. Durch geeignete Vorkehrungen lässt sich das Kartellrechtsrisiko in der Praxis effektiv reduzieren.

Risiko-Minimierung in der Praxis

Die Erfahrung lehrt, dass die praktischen Hauptrisiken beim Category Management im unzulässigen Austausch von wettbewerbsrelevanten Informationen und in der unbilligen Behinderung von Wettbewerbern liegen. Das Bundeskartellamt dürfte aufgrund seiner aktuellen Schwerpunktsetzung auch mögliche Einschränkungen der Preissetzungsfreiheit des Handels in den Fokus nehmen.
Zur Reduzierung der kartellrechtlichen Risiken empfi ehlt es sich für Handelsunternehmen, nur einen Hersteller pro Produktkategorie als Category Captain auszuwählen und CM-Vereinbarungen nur im Vertikalverhältnis mit diesem Hersteller abzuschließen. Eine solche Struktur beugt der Gefahr eines unzulässigen Informationsfl usses zwischen konkurrierenden Anbietern vor. Aus demselben Grund sollte der Category Captain vom Handelsunternehmen keine wettbewerbsrelevanten Informationen über dessen Geschäftsbeziehungen zu konkurrierenden Herstellern erhalten. Entsprechendes gilt für die wettbewerbliche Positionierung und Preisgestaltung der Eigenmarken des Händlers. Insoweit besteht die Besonderheit, dass der Händler gleichzeitig als Anbieter agiert und damit in direkten Wettbewerb zum Markenhersteller tritt. Wenn wettbewerbsrelevante Informationen über Konkurrenzprodukte weitergegeben werden, weil diese für die Erfüllung der CM-Aufgabe unerlässlich sind, sollte nach Möglichkeit durch geeignete Vorkehrungen sichergestellt werden, dass die Informationen vom Category Captain ausschließlich projektbezogen für die Zwecke des Category Management verwendet und nicht an andere Unternehmensbereiche weitergegeben werden. In Betracht kommen dafür beispielsweise die Bildung von sogenannten „Clean Teams“, also Teams aus Mitarbeitern, die nur im Category Management tätig sind und die Informationen nicht für das operative Geschäft nutzen, oder die Einrichtung von unternehmensinternen „Chinese Walls“, also Vorkehrungen, die einen entsprechenden Informationsfluss verhindern.
Um den Vorwurf einer unzulässigen Einflussnahme auf das Handelsunternehmen von vornherein zu vermeiden, sollte der Category Captain dem Händler nur rechtlich und faktisch unverbindliche Vorschläge unterbreiten. In besonderem Maß gilt dies für alle preisrelevanten Faktoren, insbesondere die Festsetzung der Endverbraucherpreise. Das Bundeskartellamt hat zuletzt wiederholt betont, dass der Händler vor allem in diesem Punkt absolut frei sein müsse. Der möglichen Beanstandung einer unzulässigen Einflussnahme auf das Produktsortiment lässt sich dadurch entgegenwirken, dass der Category Captain nicht den gesamten Regalplatz für die betreute Warengruppe verplant, sondern einen gewissen Anteil von vornherein allein dem Händler überlässt. Schließlich sollte der Category Captain seine Empfehlungen stets auf sachlich richtige Daten und objektiv überprüfbare Kriterien stützen, um keinen Raum für den Vorwurf einer manipulativen Ausnutzung seiner Position zu lassen.

Fazit – Kartellrecht setzt Grenzen

Als Fazit bleibt festzuhalten: Trotz seiner effizienzsteigernden Wirkung ist das Category Management aus rechtlicher Sicht nicht unbedenklich. Das Kartellrecht setzt der Kooperation zwischen Hersteller- und Handelsseite Grenzen. Dieser Schranken sollten sich die Akteure stets bewusst sein. Dabei ist die Grenzziehung leider oft nicht eindeutig, der Teufel steckt häufig im Detail. Daher gilt es, sowohl bei der vertraglichen Gestaltung der Zusammenarbeit als auch bei ihrer praktischen Durchführung sorgfältig zu prüfen, wie kartellrechtskonformes Handeln sichergestellt werden kann.