Healthcare-Marketing: Revolution auf leisen Sohlen

Healthcare-Marketing: Revolution auf leisen Sohlen

In Marketing-Fachkreisen nahm Healthcare lange Zeit eine Sonderrolle ein. Pharma-Marketing galt als „andersartig“ und „wissenschaftlich“ mit speziellem Wissenshintergrund und noch spezielleren Zielgruppen. Abgesehen von Weltunternehmen wie Roche, Bayer oder Novartis als Herstellermarken fallen in der Regel spontan nur wenige Produktmarken wie Viagra oder Aspirin ein, die als „Power Brands“ breitenwirksam wahrgenommen werden. Healthcare – insbesondere das verschreibungspflichtige Rx-Segment – hatte ihr Eigenleben. Doch in den letzten zehn Jahren bricht die „Mauer der Andersartigkeit“ mehr und mehr auf und das Healthcare-Marketing nähert sich der Konsumgüterindustrie an: Für eine Branche mit ethischem Anspruch und medizinischem Hintergrund ist es eine schleichende Revolution.

Noch vor wenigen Jahren waren Betriebswirte, Marketeer aus anderen Branchen oder gar Psychologen Raritäten in führenden Marketingfunktionen von Healthcare-Unternehmen. Bei der Positionierungsfindung wurde intensiver über spezifische Produktdetails und wissenschaftlich nachweisbare Unterschiede nachgedacht als über die Integration von Therapiekonzepten in den Berufsalltag von Ärzten oder anderen Healthcare Professionals (HCP). Mittlerweile fand auch dort „Migration“ anderer Berufsgruppen statt und Interdisziplinarität förderte die jeweilige Markenführung in Unternehmen mit medizinischem Hintergrund.

Was den Gesundheitsmarkt „anders“ macht

Über Urlaube redet man gern, über Krankheiten und Beschwerden notgedrungen. Der emotionale Zugang zu Blutzuckermessgeräten, Hauttransplantationen oder Einwegspritzen ist prinzipiell ein anderer als bei Baumärkten, Fruchtjoghurt oder koffeinhaltigen Erfrischungsgetränken. Das gilt für Betroffene wie auch für Marketingverantwortliche. Zudem ist der Gesundheitsmarkt eigentlich zweigeteilt:

  • Einmal in einen verschreibungsfreien OTCMarkt, der (unter Beachtung der Health-Claims- Verordnung) alle Möglichkeiten einer Markenkommunikation zulässt und
  • zum anderen in einen verschreibungspflichtigen Rx-Markt, einem klassischen B-to-B-Markt mit jedoch eingeschränkten Freiheiten und zahlreichen gesetzgeberischen Vorgaben.

Da das verschreibungspflichtige Rx-Segment u.a. auch lebensbedrohende bzw. tödliche Krankheiten einschließt und die Kosten der Therapie i.d.R. von den Krankenkassen getragen werden, ist dieser „Markt“ unmittelbarer Bestandteil der sozialen Sicherungssysteme und somit auch im Blickpunkt der Gesundheits- und Sozialpolitik. Im Zuge der Auseinan-dersetzungen um die sogenannte „Kostenexplosion“ im Gesundheitswesen wurden von Seiten der Politik zahlreiche Eingriffe seit den 1970er-Jahren unternommen. Trotz verschiedener Deckungs- und Budgetvorgaben konnte der Ausgabenanstieg im Gesundheitswesen und bei den Arznei- und Hilfsmitteln nicht verhindert werden.
Für die Arzneimittelhersteller haben aber die zahlreichen gesetzlichen Vorgaben dazu geführt, dass es für sie zunehmend schwieriger wird, neue Arzneimittel- Therapien zu entwickeln und für die Allgemeinheit bereitzustellen: Eine sich verschleppende Innovations-Pipeline mit medizinischen Wirknachweisen (u.a. Langzeit-Studien) sowie Gesetzesvorgaben à la AMNOG erschweren den Launch von Präparaten. Das ist für Rx-Einführungen umso schwerwiegender, da sie stets patentgebunden sind. Der Kostendruck steigt bei Pharma-Unternehmen umso mehr, je schneller ein Patentauslauf bevorsteht und je später sich ein Markt-erfolg gemessen an den hohen Innovationskosten (Forschung & Entwicklung, Studiennachweise etc.) einstellt.
Auch wenn sich im verschreibungspflichtigen Healthcare-Segment große Veränderungen beobachten lassen, was die Zugänge der Patienten zu medizinischen Informationen für den Aufbau von Vorwissen und Laienmedizin anbelangt (Stichwort: Internet) und was die Bedeutung anderer Player im Gesundheitssystem betrifft (z.B. Apotheken über „aut-idem-Verordnung“, Krankenkassen), steht der Arzt als Behandler und Verordner über die Rezeptausstellung nach wie vor im Fokus der Arzneimittelhersteller. Je chronischer und schwieriger eine Erkrankung, desto mehr steigt die Bedeutung der Ärzte und speziell der Fachärzte.

Der Arzt im Blickpunkt

Aufgrund der kurzen „Life Expectancy“ von gebrandeten (patentierten) Rx-Therapien muss deshalb relativ schnell Verordnungsbereitschaft bei den Ärzten erreicht werden. Insbesondere bei Allgemeinmedizinern ist der Praxisalltag vielseitig und aufgrund zeitlicher und unterschiedlicher inhaltlicher Anforderungen kann sich der Arzt nicht mit allen möglichen Medikamenten für die jeweilige Indikation auseinander setzen. Zeitknappheit bei gleichzeitigem Information-Overload führt mitunter auch zu Routine-Handlungen.

Allgemeinmediziner sind in ihrem Verordnungsverhalten vergleichsweise persistent: Einmal sich für einen Wirkstoff/eine Therapie zur Behandlung betroffener Patienten entschieden zu haben, bedeutet für sie, dass sie für die Mehrheit der Patienten die Entscheidung nicht neu treffen müssen.

Allgemeinmediziner sind in ihrem Verordnungsverhalten vergleichsweise persistent: Einmal sich für einen Wirkstoff/eine Therapie zur Behandlung betroffener Patienten entschieden zu haben, bedeutet für sie, dass sie – frei nach dem Pareto-Prinzip – für die Mehrheit der Patienten die Entscheidung nicht neu treffen müssen. Hierdurch verschaffen sie sich auch kognitive Erleichterung und sparen wertvolle Zeit.
Der Aufbau kognitiver Scripts und von Routine-Abläufen ist auch im Einkaufsverhalten von Konsumenten zu beobachten. Werbeaktivitäten können hier aber deutlich schneller und effektiver zu spontanen und nachhaltigen Verhaltensänderungen führen. Bei einem Zielgruppensegment wie Ärzten, die Werbemaßnahmen grundsätzlich eher kritisch gegenüberstehen, ist das deutlich schwerer umsetzbar. Werbung wird rational als „unethisch“ deklariert, was aber emotional selbst auch in dieser Zielgruppe nicht zutrifft: Letztlich orientieren sich Ärzte an zentralen Produkt- und Leistungsversprechen und ihrer visuellen Übersetzung.
Eine Besonderheit bei Ärzten ist, dass Sprachcodes und Schlüsselbilder von Anzeigen oder Folder je nach HCP-Segment unterschiedlich wahrgenommen und interpretiert werden können. Wenn ein Medikament gleichermaßen Allgemeinärzte und Neurologen ansprechen soll, kann die Awareness und Verordnungsbereitschaft einer Kommunikationsumsetzung völlig unterschiedlich ausfallen. Begrifflichkeiten können in anderen Kontexten ganz verschiedene Bedeutungen und Interpretationen zur Folge haben. „Nachhaltig wirksam“ attestiert bei Hautpflege eine dermatologische Schutzfunktion, die sich bei regelmäßiger Einnahme zu einem (gefühlten) Dauerzustand entwickelt. Bei Anti-Stress- Präparaten wird ein Nachhaltigkeitsversprechen untermauert, wenn die Wirksamkeit – idealerweise ausschließlich über natürliche Inhaltsstoffe – nachweisbar ist. Natürliche (pflanzliche) Präparate sollen wirksam sein, aber nicht schädlich (= chemisch). Und bei Tumortherapien wird „nachhaltig wirksam“ in Richtung vollständige Genesung aufgrund der Krankheitsschwere gar nicht erwartet. Zu viele Versprechungen wirken hier eher unglaubwürdig und unseriös.
Trotz der Spezialisierungsgrade und der gesetzlichen Einschränkungen erlebte das Healthcare-Segment lautlose Veränderungen, was Marktorientierung und Markenführung anbelangt. Bei OTC ist schon lange eine inhaltliche Nähe gegenüber FMCG zu beobachten. Allein der Vertriebskanal Apotheke verleiht OTCProdukten den Nimbus des Medizinischen und über Apothekenempfehlung ein deutliches Mehr an Sicherheit, Vertrauen und Wirksamkeit für den Verbraucher. Mit der Ausweitung auf die Vertriebskanäle Drogeriemärkte und Online- Apotheken beginnt auch dieser Vert rauensvorsprung zu schwinden. Der OTC-Markt ist mittlerweile ein Verdrängungsmarkt geworden, vergleichbar mit Getränken, Molkereiprodukten oder Reinigungsmitteln. Laut Bundesverband der Arzneimittelhersteller führt erfolgreiche Kommunikation im OTC-Segment „allenfalls zu einer Umsatzverschiebung bei einzelnen Produkten, nicht aber zu einer Umsatzsteigerung im entsprechenden Indikationsgebiet“.
Marken spielen nach unterschiedlichsten Studienergebnissen über das OTC-Segment für Verbraucher nur noch eine untergeordnete Rolle; sie orientieren sich zwar an bestimmten Markenprodukten, doch für mehr als zwei Drittel der Konsumenten ist die Marke für den Kauf nicht entscheidend. Selbstverständlich schwanken die Zahlen je nach Indikationsgebiet. Doch neben Basisanforderungen an frei verkäufliche Medikamente wie schnellere/wirksamere Heilung, Symptomlinderung und (möglichst) wenigen Nebenwirkungen steht ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis beim Verbraucher ganz oben bei den Entscheidungskriterien.
Je weniger wahrnehmbar die Unterschiede im Nutzenversprechen, je unklarer die Botschaften und die Erinnerungsleistung eines Medikaments ist, desto austauschbarer werden sie in Apotheken erlebt und desto mehr gewinnt das Preisargument an Fahrt.
Doch nicht nur bei Verbrauchern für frei verkäufliche Medikamente, sondern auch bei Ärzten wächst die Bedeutung der Kosten-Nutzen-Argumente im Praxisalltag. Der steigende Kostendruck und geschuldete Kassenvorgaben (Stichwort: Budgetzwang) führten bei ärztlichen Verordnungen zu einem Umdenken. Das Ethos der freien Berufe gilt längst nicht mehr allein. Der verschreibungspflichtige Gesundheitsmarkt mit seinen restriktiven Vorgaben zwingt zu wirtschaftlicherem Handeln der Ärzte und schürt mitunter die Angst vor Regress. Die Verordnung von Wirkstoffklassen (und Generika) liefert hierzu die entscheidende psychologische Druckentlastung für die Verordner und führt bei immer mehr Indikationsbereichen zu Marktverhältnissen, wie sie aus gesättigten Märkten der Konsumgüterindustrie bekannt sind.

 

Effizientere Kommunikation – effizientere Markenführung?

Effizienzsteigerung gewinnt nicht nur unter Kostengesichtspunkten eine immer größere Bedeutung im Healthcare-Segment. Gerade wegen der hohen Innovationskosten bei verschreibungspflichtigen Therapien und der begrenzten Lebenszyklen ist es unerlässlich, dass ein Launch begleitet wird von stringenten Marketingmaßnahmen mit dem Ziel einer erfolgreichen Marktperformance.
In der Vergangenheit war effiziente Markenführung nicht immer zentrale Prämisse für Rx-Launches. Die besonderen Anforderungen an Medikamente und das hierzu notwendige Fachwissen führten bei Produktneueinführungen mitunter zu Verwissenschaftlichung und Überbewertung der Details. Zwar ist eine pharmakologische Absicherung über Studiennachweise eine wesentliche Grundlage für Rx, jedoch gilt auch bei der Bewerbung von Ärzten, dass die Botschaften, Inhalte und über Marketingmaßnahmen kommunizierte Signale einfach und idealerweise problemlos in den Praxisalltag zu dekodieren sind. Zu viele Botschaften zu senden bzw. zu viele Vorteile eines Präparats vermitteln zu wollen, führt heute wie in der Vergangenheit dazu, dass Ärzte oder Apotheker nur wenig erinnern bzw. übermittelte Leistungsversprechen in der Wahrnehmung der Empfänger diffus bleiben.
Lange Zeit war es im Rx-Segment häufig Standard, dass während der Patentphase eine Therapie mit mehrfach wechselnden Foldern über Außendienstmitarbeiter an die HCP vermittelt wurde. Aufgrund unterschiedlicher thematischer Ausrichtung und wechselnder Bildwelten sollte das Therapeutikum über die Besprechung mit den Außendienstmitarbeitern stets aktualisiert verankert bleiben. Bei der Vielzahl an Medikamenten und möglichen Indikationen hatte diese Vorgehensweise insbesondere bei Allgemeinärzten zur Folge, dass Kernbotschaften nur bruchstückhaft gemerkt wurden. Je häufiger dabei die kommunikative Umsetzung in Anzeigen und Werbematerialien gewechselt, und je unpräziser in den Materialien der Therapie-Need für Arzt und Patient getroffen wurde, desto unwahrscheinlicher war eine Verankerung von Leistungsbotschaften. Zudem manifestieren stetig wachsende Bilder bei der ohnehin werbekritisch eingestellten Berufsgruppe der Ärzte die Einschätzung von Ressourcenverschwendung durch Werbung. Komplexitätsreduktion wurde durch häufige Kommunikationswechsel nicht betrieben. Und aus zahlreichen psychologischen Studien kann belegt werden, dass im kurzen Außendienstgespräch die Marketing-Ideen nur bruchstückhaft oder gar nicht vermittelt werden.
Bei fortschreitenden Einsparungen im Außendienstpersonal wächst die Bedeutung von effizienter Kommunikation. Auch wenn im Rx/OTC-Segment die Kanalvielfalt analog der Konsumgüterindustrie angestiegen ist, und auch hier digitale Medien immer wichtiger für den Berufsalltag der HCP werden, ist es unabdingbar, dass die Positionierung eines Medikaments für die Verordner exakt die Bedürfnisse trifft und die kommunikative Übersetzung eindeutig, klar und praxisrelevant erfolgt. In den letzten Jahren bekommt die Nachhaltigkeit von Positionierungen eine zunehmend wachsende Bedeutung, der u.a. auch die Vergabe des Healthcare-Award seit 2011 geschuldet ist: Diejenige Kommunikation wird mittels „Effie“ belohnt, die nicht nur kreativ in der Umsetzung ihrer kommunikativen Leitidee ist, sondern vor allem nachweisen kann, dass die Kampagne effizient (marktwirksam) arbeitet.
Leider greift der Anspruch der Nachhaltigkeit und Kampagneneffizienz noch nicht durchgehend; beispielsweise kann über mehrere Studien belegt werden, dass insbesondere in dem der Konsumgüterindustrie nahen OTC-Segment Claims immer noch häufig gewechselt werden. Die Konsequenz beim Verbraucher: Verwirrung, unklare Zuordnung der Botschaften auf die OTC-Marken, keine differenzierende Marktpositionierung aus Verbrauchersicht. Je spezieller eine Kategorie und je spitzer die Anlässe sind, desto sorgsamer sollte man mit Informationsvermittlung umgehen. Gerade bei medizinischen Produkten ist die Aufmerksamkeit nur dann auf den Indikationsbereich gelenkt, wenn man selbst betroffen ist. Und das ist deutlich seltener der Fall als beim Einkauf von Lebensmitteln, beim Autofahren oder Wäsche waschen.

Positionierung über Einfachheit

Inzwischen hat sich die Herangehensweise bei der Ausarbeitung von kommunikativen Leitideen oder Werbeexekutionen den Standards anderer Branchen angenähert. Allein sich nur auf Benchmarks zu verlassen, kann zu Fehleinschätzungen führen: Werbung mit „gutem“ Recall liefert keine zwingend abzuleitende Erfolgsgarantie für spätere Marktperformance.
Nicht Aufmerksamkeitsstärke allein ist es, die den Betrachter zu Handlungen anregt, sondern die verstandene Botschaft. Ist das emotionale Schlüsselbild und der eine Positionierung oftmals zusammenfassende Claim merkfähig, dekodierbar und zahlen diese direkt auf die Needs des Arztes oder Patienten ein, so führen diese auch schneller zu Handlungsmotivation. Aufmerksamkeitsstarke Visualisierungen ohne Rückkoppelung auf Wirkkraft oder Vorteil eines Medikaments bleiben letztlich nur starke Bilder ohne Nutzen für den Berufsalltag der Ärzte: Das Motiv gefällt bzw. wird oftmals von Ärzten erinnert, der Nutzen für den Medikamenteneinsatz bleibt dagegen verschleiert. Oder anders ausgedrückt: Auch Ärzte lieben den Palmenstrand, was aber ein Palmenstrand mit Herz-Kreislauf-Prävention zu tun hat, erschließt sich Ärzten nicht auf Anhieb. Da Ärzte rational häufig den Sinn von Werbung infrage stellen, kann besonders in dieser Zielgruppe „leise“ Werbung mit konkreter Nutzenansprache marktwirksamer sein als schrille Folderdarstellungen. Emotional reagieren aber Ärzte ähnlich wie normale Konsumenten: Ist ein Bild stark und wird es mit einer Nutzenargumentation verknüpft, dann korrelieren Merkwürdigkeit und Verordnungsbereitschaft um ein Vielfaches. Beispiele hierfür liefern Medikamente wie „Exforge“ bei Hypertonie (Wasserfall-Symbolik und Übersetzung in „schnell, stark, runter“), Adenuric bei Gicht (Symbolisierung des Kernsymptoms „Kaktusfuß“) oder Gonal-f (Symbol des „Patschehändchens“ bei künstlicher Befruchtung).
Eine Besonderheit der Kommunikation im Rx-Segment ist, dass neben dem Nutzen für die Patienten auch der Nutzen des Arztes eine wichtige Rolle spielt. In vielen aktuellen Studien konnten K&A feststellen, dass Ärzte auch für sich persönliche Erfolgserlebnisse anstreben. Die Vermittlung eines guten Gefühls durch die verstärkte Profilierung des Arztes als Fachmann oder die projizierte Dankbarkeit der Patienten sind mögliche Stellschrauben für eine erhöhte Verordnungsbereitschaft.
Zudem gerät das Konstrukt der sogenannten „Patient Journey“ immer stärker ins Blickfeld der Medikamenten- Positionierung. Die Patient Journey umfasst die „Reise des Patienten“ durch verschiedene emotionale Zeitphasen von der Diagnose über die gesamte Behandlung hinweg. In Abhängigkeit von der Indikation und der Schwere der Erkrankung werden die emotionalen Phasen in unterschiedlicher Intensität und Dauer durchlaufen. Je nachdem, ob es sich um eine Bagatell-Erkrankung (z.B. Erkältung), eine chronischverlaufende Volkskrankheit (z.B. Diabetes mellitus, COPD, Hypertonie, Rheuma u.v.a.) oder im schlimmsten Fall um eine Erkrankung mit potenziell tödlichem Ausgang (z.B. Krebs) handelt, reagieren und agieren die Patienten unterschiedlich und schließen verschiedene HCP an unterschiedlichen Kontaktpunkten in ihrer Entscheidungsfindung ein.
Für die Kommunikation bedeutet dies unter den Vorgaben der Gesetzgebung und der Interpretation verschiedener am Genesungsprozess beteiligter Zielgruppen, dass zielgruppenübergreifend nach einer effizienten Übermittlung von Benefits und Reason-to-believe zu suchen ist. Visuals, Claims und Produktauslobungen, die für Patient, Arzt und andere im Prozess beteiligten Zielgruppen gleichermaßen gemerkt, verstanden und hinsichtlich ihrer Nutzen dekodiert werden können, haben bei bestehender Mehrdimensionalität für Entscheidungsfindung und Compliance mehr Chancen auf einen späteren Markterfolg. Eine Kontinuität in der Markenführung – sei es über Claims und visualisierte Ansprachen – hilft hierbei deutlich stärker als ständig wechselnde Kampagnen und Folderauftritte, die Merkwürdigkeit nicht nur einschränken, sondern aufgrund ungenauer Zuordnung bei Entscheidungen eher verwirren.

Neue Wege gehen

Die Sonderrolle von Healthcare gegenüber FMCG und anderen Branchen definiert sich weiterhin aufgrund der thematischen Ausrichtung („Gesundheitserhaltung“ i.w.S. vs. Genuss), in puncto Markenführung erfolgte aber aufgrund zahlreicher äußerer und auch innerer Zwänge eine Anpassung. Insbesondere infolge der hohen Entwicklungskosten im Rx-Segment muss quasi bei Markteinführung der „erste Schuss bei Produktlaunches sitzen“. Das bedeutet für die Kommunikation, dass psychologische Insights über Marktentwicklungen, Arzt-Patient-Beziehungen sowie über Motivstrukturen bei allen relevanten Beteiligten idealerweise vor dem Briefing der Kreativagenturen vorliegen müssten. Reine Standardabfragen über „Innovationsgrad“ oder „bessere Wirksamkeit“ und anderen faktischen Kriterien sind ein zusätzliches Hilfsmittel für Positionierung und Kommunikation, greifen aber ohne konkrete (faktische oder emotionale) Auflösung zu kurz.
Aufgrund der bevölkerungsübergreifenden Digitalisierung, was Informationen und (Laien-)Wissen anbelangt, spielt im Healthcare-Segment die Einbeziehung der Patienten eine immer wichtigere Rolle. Bei frei verkäuflichen OTC-Medikamenten gilt bereits seit Jahrzehnten die Regel der Apotheker „Vorverkauf durch Werbung“. D.h., ein Apotheker unterstützt die Empfehlung von Medikamenten umso aktiver, je gezielter und häufiger Apothekenkunden nach Medikamenten fragen, die sie über Werbung bewusst oder unterbewusst erinnert haben (z.B. „Da gibt es doch etwas mit der Passionsblume ….“).
Im Rx-Segment ist der zentrale Entscheider immer noch der Verordnende. Über das Internet („schnell mal googeln“) lässt sich aber eine wachsende Expertise in der Laienmedizin beobachten. Hier gilt aufgrund des direkten Werbeverbots die Regel „Interesse durch Information“. Je mehr Patienten thematisch oder über betroffene Zielgruppen Wissen aufbauen, teilen und bewerten, desto massiver ist der Einfluss und das Auftreten beim behandelnden Arzt, wenn es um die Verordnung von Therapien bzw. um eine proaktive Diskussion von Alternativtherapien in der Sprechstunde geht.
Die Zunahme an Touchpoints auch im Healthcare- Segment liefert wie auch anderswo vielfältige neue Vermarktungschancen, aber auch Risiken. Gut gemacht, nutzen Multi-Channel-Strategien über emotionale Betroffenheit den Einfluss von Patienten und Laien. Auch in Fachkreisen wird die Online-Ansprache immer wichtiger, insbesondere dort, wo persönliche Kontakte von Pharma-Unternehmen über einen Außendienst seltener werden. Virtuelle (digitale) Kampagnen haben aber nur dann Erfolge, wenn sie den Ärzten und Entscheidern einen zusätzlichen (faktischen und/ oder emotionalen) Nutzen bieten. Dass auch bei Digitalkampagnen die entsprechende Zielgruppe psychologisch verstanden sein muss, ist eigentlich obligatorisch. Ohne eine Einbindung der Online-Maßnahme in die Gesamtstrategie einer Medikamentenvermarktung, ohne eindeutige Dekodierung der Inhalte durch die anvisierten Fachzielgruppen und ohne Relevanz für den Berufsalltag wirken die Maßnahmenbündel fraktal, nicht zusammenhängend und für den Betrachter schwer verständlich.
Insbesondere die Einbindung der Patient Journey in Marketingstrategien verbietet fraktale Herangehensweisen. Psychologische Studien von K&A BrandResearch bestätigen immer wieder, dass diejenigen Kommunikationsansätze besonders erfolgreich im Markt agieren, denen es gelingt, über ihre Signale und Botschaften „doppelte Resonanz“ auszulösen. Der Patient/ der zu Behandelnde erinnert ein für sich wichtiges Merkmal oder Visual, mit dem er sich die Therapie oder ihre Wirkung einfach erschließt und der HCP kann mit diesen Merkmalen ebenso etwas anfangen, da er darauf aufbauend sein Expertenwissen an die Patienten vermitteln kann. Je früher es dabei gelingt, die Betroffenen an den Kontaktpunkten einer Patient Journey mittels wirksamer Ansprache zu motivieren, desto schneller (und womöglich auch längerfristig) setzt die Therapie an.
Und umso vielseitiger die Zielgruppenansprache und ihre Kontaktmöglichkeiten, je komplexer der Anwendungsbereich, desto wichtiger ist es, dass zu Beginn einer Positionierungsstrategie die Weichen richtig gestellt werden. Medizinisches Wissen ohne Insights über Motive und Bedürfnisstrukturen im Anwendungsalltag greifen dann meist zu kurz. Und der kreativen Umsetzung fehlen dadurch oftmals die Waffen, um den jeweiligen Indikationsbereich erfolgreich bearbeiten zu können.

 

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Autorin(nen) / Autor(en):
CMO
K&A BrandResearch AG