Green Marketing vs. Political Correctness
Die Wirtschaft soll dem Menschen dienen, so schallte es im Wahlkampf von allen Seiten. Alle Konsequenzen aus der Weltfinanzkrise sollten damit auf den eingängigen Punkt gebracht und zugleich die Illusion wiederbelebt werden, dass Politik dieses Versprechen auch zu halten und die Wirtschaft zu bändigen vermag. Selbst wenn dies gelingt – Wirtschaft steht allzu oft vor allem für Druck, für notwendigen Broterwerb, frühes Aufstehen und spätes Heimkommen. Für Arbeitslast, auch für Angst um Arbeit.
Wirtschaft und Lebensfreude? Nur die kleine Insel namens Konsum stand jahrzehntelang für lustvollen Umgang mit Wirtschaft und ihren Erzeugnissen. Sie repräsentierte den Teil des Wirtschaftskreislaufs, der nicht nur der schnöden Selbsterhaltung dient, sondern der identitäts- und lustspendenden Verwendung der mühsam erarbeiteten Währungseinheiten. Das gelang dem Konsum so gut, dass er sich längst verdächtig gemacht hatte, neue Unfreiheit über den Konsumenten gebracht zu haben in Form von amoralischer Sucht.
Ein Blick durch die Trendreports scheint nun auch hier das Ende der Lust zu verkünden. Strategischer Konsum, Politik mit der Macht des Konsumenten markiert offenbar das unwiederbringliche Ende des unschuldigen, hedonistischen Konsumierens. Scheinbar hat der zeitgemäße Verbraucher mit gehobenen Ansprüchen nichts anderes mehr im Sinn als seine Ablehnung von Atomstrom, Kinderarbeit und Gentechnik an der Supermarktkasse kundzutun. Und dies in einer Zeit permanent sinkender Wahlbeteiligung.
Konsequenz: keine Autowerbung mehr ohne Klimaargumente. Kein Putzmittel ohne Umweltengel. Und eine Elektrizitätsmarke ohne erneuerbare Energie geht überhaupt nicht.
Das hat zwei praktische Konsequenzen: viel Lüge und wenig Differenzierung. Ohne jede Moralisierung – beides Todsünden für Marketer. Die Lüge dann, wenn sie auffliegt. Und Verwechselbarkeit immer. Marketing ohne Differenzierungsleistung ist nichts anderes als ein Fehlschlag. Und Marketing mit gebrochenen Versprechen, Schlagwort Greenwashing, wird zum Markenwert vernichtenden Bumerang, wenn die Gegenseite genüsslich den öffentlichen Widerspruch inszenieren kann. Greenpeace hatte schon immer viel Freude daran, sich an E.ON, RWE & Co. abzuarbeiten. Wenn diese nun auch noch die Steilvorlagen für bösen Spott liefern, rotiert der virale Apparat der Ich-hab’s-schon-immergewusst- Community wie ein Perpetuum mobile.
Wie also mit dem Nachhaltigkeitsbedürfnis des Kunden umgehen? Vorschlag: Ihn erst mal verstehen und ernst nehmen. Ist strategischer Konsum wirklich die Ersatzhandlung für hohe Wahlbeteiligungen? Ist er, verstanden als Massenphänomen, wirklich der Spiegel einer politisierten Konsumentenschaft, der angesichts marginalisierten direkten politischen Einflusses keine andere Wahl bleibt, als über Kaufentscheidungen ein Machtsubstitut zu suchen?
Dieses Bild vom Konsumenten geht ebenso fehl wie das des homo politicus, der seine Wahlentscheidung nach genauem Studium aller Wahlprogramme und einem detaillierten Abgleich mit eigenen Interessen und Wertvorstellungen vornimmt. Den gibt es auch nur im Sozialkundeunterricht.
In der Realität haben politische Handlungen und Konsumentscheidungen Wesentliches gemein: Die eigene Positionierung zu einer Partei ist ebenso Ausdruck einer sozialen Selbstverortung wie die zu einer Marke. Beides kann nur verstanden werden im sozialen Kontext, im Bemühen um Identität und Standpunkt im persönlichen und gesellschaftlichen Umfeld. Kaufwie Wahlentscheidungen sind natürlich irrational. Sie sind aber auch nur vordergründig individualistisch, erklärbar werden sie erst als Resultat des Wechselspiels von Differenzierungs- und Harmonisierungsbedürfnissen des Einzelnen unter anderen.
In diesem Verständnis ist eine strategische Konsumentscheidung für ein Auto oder gegen einen Stromanbieter nichts anderes als eine Kaufentscheidung für jede Marke: Ich drücke ein Lebensgefühl aus, mit dem ich vor mir selbst glücklich bin, weil es vor meinem persönlichen Umfeld funktioniert – sei es zur Unterscheidung oder zur Markierung von Zugehörigkeit.
Grünes Marketing ist also dann erfolgreich, wenn es den politisch-thematischen Kontext als Teil von Lebensgefühl versteht. Menschen haben Marken noch nie monadisch isoliert auf einsamen Inseln ihrer Identität erlebt. Markenkonsum ist immer ein soziales Erlebnis. Umso mehr gilt das für eine strategisch konsumierte Marke.
Erfolgreiche „grüne“ Marken sind nicht zusammengesetzt aus hedonistischer Lustkomponente auf der einen Waagschale und staubtrockenen Gewissenentlastungsargumenten auf der anderen. Menschen ticken nicht so, auch strategische Konsumenten nicht. Eine nachhaltige „Best Brand“ bietet Identifi kationsfl ächen für das gesamte Lebensgefühl, und da ist der politische Wertekontext schlicht eine von vielen Erlebniswelten des Konsumenten. Als Anita Roddick 1976 ihre Idee des Body Shop realisierte, hat sie genau das erreicht, lange bevor der strategische Konsument entdeckt war. Marketing mit politischer Korrektheit ist langweilig, es differenziert nicht. Vor allem steht es für Unverständnis gegenüber politischen Bedürfnissen: Wir sind nicht mal hedonistischer Konsument und zwei Stunden später verantwortungsgetriebener Teil eines politischen Gemeinwesens. Die höchstmenschliche Fähigkeit zur Empathie, zum emotionalen Verschmelzen mit unserer sozialen Umwelt, macht keinen grundsätzlichen Unterschied zwischen dem Miteinander in der Familie und dem in der vorwiegend medial vermittelten globalen Klimagemeinschaft.
Natürlich müssen Branchen unter besonderer politischer Beobachtung grüne Mindeststandards erfüllen und kommunizieren. Energie- oder Automobilanbieter sollten Nachhaltigkeitsstandards behandeln wie andere Hygienefaktoren auch: selbstverständlich und selbstbewusst.
Differenzierendes grünes Marketing vermag aber viel mehr: Es begreift den strategischen Konsumenten als Menschen mit Lust auf Zukunft und auf Interaktion und Selbstverortung in der Gemeinschaft. Grüne Marken müssen gut tun, nicht mehr und nicht weniger.