E10 – Marke oder Rattengift?

E10 – Marke oder Rattengift?

E10 ist eine Marke. Oder, vorsichtiger ausgedrückt: E10 will sich als solche etablieren und soll für mehr Bio im Benzin stehen. Aktuell ist davon wenig zu spüren. Vielmehr assoziieren wir damit verunsicherte Autofahrer, hilflose Tankwarte und eine breite Medienschelte. Das war sicher nicht so gedacht. Ist aber so gekommen.

Aber wie kommt’s? Markenführung ist – erstens – eine systematische Sache. Sie braucht Struktur und Klarheit, manchmal auch Mut. Und nicht zuletzt Konsequenz, aber auch Gespür in der Umsetzung. Markenerfolge entstehen selten zufällig. Meist sind sie das Ergebnis einer durchdachten Marken- und Kommunikationsstrategie. Markenführung und -implementierung ist hier also das Thema. Die Nachhaltigkeitsdebatte um den Treibstoff E10 ist ein anderes und soll an dieser Stelle bewusst ausgeklammert werden. Damit ist nicht gesagt, dass Marken sich einer solchen Diskussion nicht stellen müssen. Im Gegenteil – starke Marken vertragen das. Hier geht es aber zunächst um die wichtigsten Grundbausteine der Markensteuerung – die Markteinführung von E10 zeigt, dass diese Sensibilisierung notwendig ist.
Dabei geht es zentral um das Herausarbeiten einer sowohl verständlichen als auch begehrlichen Ma rkenposit ionierung. Unerlässlich sind dafür relevante Nutzen versprechen (funktionale und emotionale), eine merkliche Differenzierung zum Wettbewerb sowie authentische Markenwerte. Und natürlich Klarheit über die Zielgruppen, die man erreichen will und muss, damit eine Marke erfolgreich eingeführt werden kann. Das alleine reicht jedoch noch nicht aus.
Es ist – zweitens – immer wieder zu beobachten, dass gerade dem Prozess der Markenimplementierung zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird. Nach den Erfahrungen der Markenagentur kleiner und bold ein sehr erfolgskritischer Schritt für die Einführung einer Marke oder eines Produkts! Dabei geht es um die geschickte Vernetzung von Markenstrategie und operativer Umsetzungexzellenz in Richtung Markt, aber auch im markenführenden Unternehmen selbst.
Sehen wir’s doch mal menschlich: E10 – wer oder was bist du und woher kommst du? Klingst irgendwie nach Zusatzstoff, in manchen Ohren sogar giftig. Warum soll ich für dich mein gutes Geld ausgeben? Zudem, wenn auch noch offen spekuliert wird, du könntest für meinen Motor unverträglich sein. Bist du ein Freund? Nein, eher ein Risiko. So scheint es zumindest.
Irritationen – ob zu Recht oder nicht, das ist hier gar nicht die Frage. Deutlich wird dabei jedoch, dass E10 als Marke keine klare Positionierung hat. Die Einführung lässt wenig Empathie und Verständnis von den Denkwelten der Zielgruppen erkennen. Manche „Gatekeeper“ in der Kontaktkette scheinen sogar komplett vergessen worden zu sein. Den Tankwart beißt der Kunde. Dabei gibt es ein paar Gesetzmäßigkeiten und Regeln, die das Flop-Risiko eines Produkt- oder Marken-Launches deutlich reduzieren können.

• Marke ist Vertrauen. Dieses Vertrauen in eine Qualität muss sich eine Marke jeden Tag neu erarbeiten. Unklarheit führt zu Unsicherheit. Unsicherheit unterwandert das Vertrauen. Und Vertrauensbrüche sind Gift für Marken. Im Fall von E10 wurde die Chance – im Vorfeld sukzessive Vertrauen aufbauen – augenscheinlich nicht genutzt. Die Marke E10 wirkt wie auf den Markt geworfen, wobei davon auszugehen ist, dass die Akteure lange zuvor wussten, dass der Bio-Treibstoff eingeführt werden muss.
• Marke ist Differenzierung und Orientierung. Marke steht für etwas Besonderes, für Eigenart, für Originalität. Unverwechselbar sollte sie also möglichst sein und dieses Feld dann klar besetzen. Hier waren die Voraussetzungen für E10 gar nicht so schlecht, denn die Kraftstoffkombination ist neu in unseren Breitengraden. Dennoch, Neuigkeit und besondere Zusammensetzung haben ihre Wirkung nicht entfalten können. Desorientierend statt wegweisend. Zoff statt Stoff.
• Marke ist Einfachheit. Marke ist, wenn man sie ohne Umschweife versteht. E10 könnte in den Köpfen der Verbraucher auch für einen Zusatzstoff stehen. Wenn es assoziativ ganz schlecht läuft, sogar für einen künstlichen. Die Farbstoffe lassen grüßen – Gift in aller Munde. E steht für Ethanol und damit für Bio-Alkohol, die 10 für die Zugabe von zehn Prozent davon. Eigentlich ganz einfach, wenn man es vorher gut erklärt. Die Frage, ob das Naming grundsätzlich geschickt gewählt wurde, bleibt dennoch bestehen. Nomen est omen – der Name ist ein Zeichen.
• Marke ist Kommunikation. Dazu gehört Klarheit über die Kernbotschaft und über die Zielgruppe(n), bei der sie ankommen soll. Zumindest beim letzteren Punkt könnte es einige Unschärfen gegeben haben. Haben sich die „Player“ aus Politik, Mineralölwirtschaft und von den Autoherstellern denn vor dem „Benzingipfel“ über Kommunikationsziele, -wege und Zielgruppen unterhalten?

Weder an den Tankstellen noch an den Zapfsäulen wurde die Gelegenheit ausreichend und merklich genutzt, die Kunden frühzeitig und direkt anzusprechen. Nichts hätte überzeugender sein können als Kommunikation im Kontext – am Point of Sale (PoS). Aber diese Chance wurde vertan, anfangs herrschte dort sogar Erklärungsnot und Verwirrung. Nun sollen es eine Fülle von Broschüren und das Internet richten. Klar ist anders. Gut geführte Marken nutzen jede Steilvorlage zur aktiven Kommunikation mit ihrer Kundschaft.

• Marke ist mehr als nur ein Produkt. Sie muss eine gute Story erzählen und über das Produkt hinauswachsen. In einer Welt voller und teils austauschbarer Produkte braucht es Lösungen für drängende Probleme. Die Energieversorgung, unser Umgang mit „Treib-Stoffen", ist eines davon. Hier wurde eine Riesenchance für eine Marke wie E10 vergeben, den ihr zugeschriebenen Zusatznutzen als Beitrag auf dem Weg zu einer Lösung zu positionieren. Bio-Kraftstoffe gehören zur neuen Klimaschutzpolitik. E10 hätte in diesem Kontext eine „Marke mit Sinn“ sein können, aufgeladen mit positiven Assoziationen. Angekommen ist dies in den Köpfen bisher nicht. Und was nicht angekommen ist, kann auch nicht angenommen werden.

Marke funktioniert nicht nur mechanisch, Marke ist auch Faszination. Faszinierende Marken erzählen gute Geschichten, am besten ausschließlich wahre. Und wenn Verbindungen davon Projektionen oder Mythen sind, dann bitte nur (verdammt) gute. Jetzt könnte man E10 noch zugute halten, dass nicht jede Marke voller Emotionalität und Stories strotzen kann. Das stimmt. Aber eine Marke, die aus dem Nichts erscheint und nichts erzählt, wird es sehr schwer haben, die Köpfe der Kunden, ihre Herzen und schließlich ihre Geldbörsen zu erobern.

• Marke braucht Zeit. Damit reden wir über etwas, was im Marketing-Alltag häufig zu wenig zur Verfügung steht. Trotzdem wächst das Gras nicht schneller, wenn man daran zieht! Eine Marke kann man in der Regel nicht von heute auf morgen etablieren. Es gilt, sorgfältig zu planen, Kernbotschaften sukzessive aufzubauen und zu etablieren. Das ist strategische Denk- und solide Handwerksarbeit zugleich. Warum ist das nötig?

Eine Marke stellt man sich am besten als Eisberg* vor. Nur die Spitze schaut aus dem Wasser, aber darunter ist noch viel mehr. Das gilt zumindest für etablierte Marken. Bei neuen Marken muss dieses Gebilde erst ausgeformt werden. Arbeiten kann man am Markenbild und damit an der Oberfläche. Ein Markenguthaben hingegen manifestiert sich erst längerfristig in voller Größe unter Wasser. Hier entsteht die Wucht, die Marken so kraftvoll machen kann. Dies vor Augen, wird klar: Markenaufbau und Markenführung können kein schnelles Geschäft sein. Für E10 wäre es aus Markensicht eine Minimalanforderung gewesen, den Markt und die Zielgruppen planvoll auf den Launch vorzubereiten: anteasen, neugierig machen, informieren, wenn möglich begeistern. Nicht immer leicht, aber Ziel. Gut geführte Marken können das.

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• Eine Marke braucht Botschafter, die sich ihrer annehmen: Politiker, Vertreter der Mineralölindustrie, Verbände und Interessensgemeinschaften. Sie alle sind Markenbotschafter, unbenommen davon, dass die Einschätzung zu E10 naturgemäß eine Bandbreite haben kann. Sie bestimmen den öffentlichen Dialog. Sie gilt es, im Vorfeld zu gewinnen.

Bleiben wir aber noch bei einer konkreten Marktsicht, dort, wo der Sprit seinen Weg in den Tank finden soll. Der Tankwart oder der Tankstellenpächter ist im konkreten Kontext eine wichtige „Schlüsselfigur“. Seine Haltung, seine Informationspolitik, sein Vertrauen zu E10 entfalten ihre Wirkung direkt vor Ort – an der Tankstelle. Oder eben auch nicht. So wie es DAS ICON EISBERG-MODELLaussieht, scheint seine Kraft als potenzieller Markenbotschafter nur suboptimal genutzt worden zu sein. 

Die Markteinführung von E10 ist bisher alles andere als eine Erfolgsstory. Sie liest sich eher wie eine Geschichte verpasster Chancen und Gelegenheiten. Zu viele Gesetzmäßigkeiten konsistenter Markenführung wurden nicht hinreichend berücksichtigt. Markenklarheit Fehlanzeige. Einführungskampagne – es zählt, was ankommt, und das war sicher nicht das, was beabsichtigt war. Zielgruppen, Botschafter, Gatekeeper – sie wurden nicht erreicht, nicht vorbereitet oder nicht ausreichend einbezogen.
Nun hat sich einiges im Eisberg angesammelt, was dem Erfolg der Marke E10 entgegenstehen wird. Die Marke ist sozusagen mit negativen Assoziationen „unter Wasser“. Ein notwendiger Neustart aus dieser Position ist alles andere als trivial. Am besten fragt man jemanden, der das kann. Fragen kostet nichts. Es nicht zu tun, schon.

Autorin(nen) / Autor(en):
Business Director
kleiner und bold