Deutschland, quo vadis?

Deutschland, quo vadis?

Shutdown in Deutschland im März 2020. Stillstand in Handel und Industrie. Der Börsenwert einer beachtlichen Anzahl von Unternehmen hat sich in kürzester Zeit halbiert. Anleger warfen alles auf den Markt. Und bei der hohen Unsicherheit verloren sämtliche Anlageklassen, zeitweise sogar Gold. Selbst Konzerne wie die Lufthansa werden es ohne Staatshilfe nicht mehr schaffen zu existieren.

Stärker waren und sind auch mittelständische Firmen betroffen. Durch die Bank wurde eine Welle der Solidarität ausgelöst. Auch viele kleine Einzelhändler wurden mit kreativen Methoden unterstützt. Und die Politik ließ nicht lange auf sich warten. Gigantische Wirtschaftsprogramme, die Corona-Hilfen, wurden angeschoben, um die Wirtschaft wieder ins Gleichgewicht zu bringen (Der deutsche Finanzminister spricht vom Einsatz der „Bazooka“, der US-amerikanische Hedgefondsmanager Paul Tudor Jones von Maßnahmen mit der Schlagkraft einer Atombombe). Doch die Staatshilfe war zumindest zu Beginn etwas zu umständlich konstruiert (manche sprachen von einer Ladehemmung der „Bazooka“). Für die Politik kam erschwerend hinzu, dass viele Unternehmen, welche liquiditätsstark sind, vorsorglich und frühzeitig Anträge stellten. Diese Vorgehensweise band Arbeitskapazitäten und Mittel, die dringend von denjenigen Mittelständlern benötigt werden, die in Schieflage geraten sind. Der Shutdown fordert seinen Tribut. Betroffen sind alle, der Einzelne privat und global die Gesamtwirtschaft. Dadurch drängt sich eine Frage auf: „Was macht die Krise mit uns?“ „Uns“ ist in dieser Hinsicht vielfältig zu betrachten. Im Sinne der Privatpersonen wie der Wirtschaft.
Wird diese Zeit das zukünftige Verhalten oder gar unsere Werte verändern? Werden wir einige Verhaltensweisen in unsere Kultur übernehmen? Was könnten mögliche Veränderungen sein?

Entschleunigung:
das Wort der Stunde.

  • Die Durchdringung mit und die Akzeptanz der Digitalisierung wird spürbar zunehmen. Die Bedenkenträger in den Unternehmen, Hochschulen und Schulen verstummen immer mehr und erkennen jetzt auch die Vorteile der neuen Medien.
  • Die Akzeptanz für digitale Tools ist auf Kundenseite drastisch angestiegen und somit wird die Kundenkommunikation digitaler und kostengünstiger. Es kann durchaus sein, dass bspw. der Mittelstand durch diesen Schub gestärkt aus dieser Krise hervorgeht, wie mir ein Branchenexperte sagte.
  • Unternehmen denken jetzt wieder - falls wirtschaftlich mittel- bis langfristig sinnvoll - über lokale Produktion und auch über den Aufbau von Zwischenlagern nach, sodass man bei Zulieferengpässen nicht gleich die Produktion vollständig einstellen muss (so wie bei BMW geschehen, die vergeblich auf Zulieferteile aus Italien gewartet hatten). Auch ist zu hören, dass mancher schwäbische Mittelständler seine Produktion aus China wieder nach Europa zurückverlagert. Wird die Produktion von Schlüsselprodukten wieder zurück nach Europa verlagert? Beispielsweise könnte die Herstellung von kritischen Produkten wie etwa Schutzmasken, Schutzkleidung insgesamt, pharmazeutischen Produkten oder auch zentrale Zulieferteile für die Automobilindustrie wieder vermehrt lokal stattfinden.
  • Mittelständler haben jetzt endlich erkannt, dass sie dringend auf Online-Handel umstellen müssen, damit Amazon (incl. Amazon Business) ihre Kunden nicht weiter signifikant attackiert. Untergehen oder neue Potenziale heben, ist die Losung.
  • Messebesuche werden zukünftig die Ausnahme sein. Große Messen werden überleben. Es zeigte sich jedoch, „dass es ohne kleine Messen auch geht“, wie mir ein Geschäftsführer eines schwäbischen Mittelständlers sagte.
  • Es wird sich bspw. zeigen, dass mancher nationale Alleingang falsch war. Mit gemeinsamen europäischen Entscheidungen wäre es vermutlich besser gelungen, die Krise zu meistern. Die Krise kennt keine Grenzen. Auch die abgeschotteten Vorgehensweisen der bislang starken Landesgesellschaften werden aufgehoben. So werden Webshops zukünftig bspw. international zusammengeschaltet und von der Zentrale aus gesteuert.
  • Schon vorher zeichnete sich ab, dass innerdeutsche Flugreisen zum Kundenbesuch nur in seltenen Fällen vom Kunden noch akzeptiert werden. Bahnreisen werden hier zunehmen.
  • Kundenkommunikation wird zielorientierter und kürzer und natürlich werden auch Videokonferenzen mit Kunden im Vertrieb, aber auch intern, praktikabler und deutlich produktiver.
  • Lösungen für betriebliche Probleme werden schneller gefunden. Hatte man früher ein bis zwei Jahre diskutiert, beschleunigt sich das heutzutage merklich. Das teilte mir ein Vertriebsvorstand eines mittelständischen Unternehmens in einem persönlichen Gespräch mit.
  • Manche Versicherung bspw. bevorzugt Skype-Telefonie vor Videotelefonie. So kann nur einer reden und die Kommunikation wird disziplinierter und unkomplizierter. „Gemeinsame“ Lösungen werden schneller gefunden. Die Offenheit für praktikable Lösungen steigt. Der Umgang wird – zumindest kurzfristig – freundlicher und wohlwollender miteinander. Kunden merken gerade, dass Unstimmigkeiten oder Streit mit einem Anbieter doch wesentlich geringere Bedeutung hat als die Pandemie. Hier hege ich allerdings begründete Zweifel, ob dies auch zukünftig so bleibt.
  • Die „Mitmenschlichkeit“ (Horx 2020) erlebt eine Renaissance. Wer diese Phase zusammen durchgestanden hat („geglückte Angstüberwindung“), der hält auch zukünftig besser zusammen.
  • Wird zukünftig der Händedruck abgeschafft? Wie wird die alternative Begrüßungsform sein? Viele Jüngere sind bereits auf den Ellenbogen-Gruß umgestiegen. Vereinzelt sieht man bereits Grußformen analog der chinesischen Verbeugung.
  • Welche Auswirkungen hat das wochen- fast monatelange Homeoffice auf die Mitarbeiter? Werden wir unser Verhältnis zum Thema Arbeit neu überdenken? Erheblich mehr Mitarbeiter werden nach Homeoffice verlangen. Andere freuen sich allerdings auch wieder darauf, im Büro unter Kollegen zu sein.
  • Entschleunigung: das Wort der Stunde. Der Shutdown hat unsere Kalender schlagartig geleert. Plötzlich hatte man viel mehr Zeit. Einige sind dem Ruf von Roger Martin gefolgt und haben diese zum Nachdenken genutzt. Bestenfalls sogar die Sinnfrage ganz neu gestellt. Diese kommen verändert und gestärkt aus der Shutdown-Phase zurück.
  • Die Lust auf Zukunft wird wieder spürbarer. Weg von gestern, weg von der Angstspirale nach unten, hin zum Aufbruch nach neuen Ufern bzw. hin zu neuen Zielen.

Die „Mitmenschlichkeit“
(Horx 2020)
erlebt eine Renaissance.

Zusammengenommen lässt sich festhalten: Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Rückblickend werden wir vermutlich im Herbst 2020 sagen, dass aus einem massiven Kontrollverlust im Frühjahr auf einmal sich ein regelrechter Rausch des Positiven eingestellt hat. Nach Horx entsteht in einer Zeit der Fassungslosigkeit und Angst eine neue, stärkere innere Kraft. Dies macht etwas mit uns, etwas Positives. Die Delle war dann doch nicht so tief wie gedacht – die Börsen haben Teile ihrer anfänglichen Verluste wettgemacht und somit können wir wieder Energie für neue Aufgaben schöpfen. Die Gesellschaft wurde, gedrängt durch den Shutdown, zum flächendeckenden Zwangsexperiment „Homeoffice und E-Learning“ gezwungen. Für so manches Unternehmen bedeutete dies einen Innovationssprung hin zur Digitalisierung. Viele Mittelständler haben sich auf die Schnelle Laptops organisieren müssen. Bei Großhändlern kam es dadurch zu dramatischen Engpässen. Diese Not machte erfinderisch. Einige haben die Lösung des „bring your own device“ zur kurzfristigen Überbrückung wahrgenommen. Eine kosten- wie zeiteffiziente Möglichkeit, das Homeoffice zu ermöglichen. Wo eine vermeintlich einfache Softwarelösung gefunden wurde, sahen sich Mitarbeiter wie Führungskräfte vor neuen Herausforderungen. Mit der eingeführten Software und Hardware umzugehen, erfordert ein gewisses Maß an digitaler Allgemeinbildung. Noch gravierender der Umstand, der in KMUs vorliegt. Hier ist ein „digital Leadership“- Ansatz gänzlich unbekannt.

Unsere Resilienz ist besser und wir sind damit stressresistenter geworden.

Erfreulich ist die Erkenntnis unserer Gesellschaft, sich hinsichtlich ihrer digitalen Bildung weiterentwickeln zu müssen. Mancher Fachmann spricht neben digitaler Bildung von „digital Readiness“. Zweifellos ist, dass der Anteil an E-Learning zugenommen hat. Doch dies stellt noch keine digitale Kompetenz dar. Es wird lediglich in einem modernen Format der übliche Inhalt dargestellt. Die weiterhin zunehmende Digitalisierung erfordert jedoch, dass man neue Kompetenzen, ja digitale Kompetenzen aufbaut (vgl. Bartlett-Mattis 2020; Kergel und Heidkamp-Kergel 2020). Erfreulich dabei ist: Der erste Schritt ist vollbracht! Wahrscheinlich sogar der Wichtigste. Angefangen bei den Schulen, über Hochschulen, jegliche Unternehmen und selbst der zwischenmenschliche Austausch wurde auf Systeme wie Alfaview, Adobe connect, Zoom oder Microsoft- Teams verlegt. Eine solch hohe Akzeptanz im Alltag wird gewiss dazu führen, dass langfristig ebenfalls Unternehmen profitieren. „Wir werden uns wundern, wie schnell sich plötzlich Kulturtechniken des Digitalen in der Praxis bewährten.“ (Horx 2020) Zukünftig findet sicherlich vermehrt Kommunikation mit Kunden, im Vertrieb wie auch unternehmensintern, mit diesen deutlich produktiveren Tools statt.
Unsere Resilienz ist besser und wir sind damit stressresistenter geworden.
Als ich mich mit dem Börsenaltmeister Gottfried Heller zur damaligen Situation 2008/2009 an den Weltbörsen austauschte, sandte mir dieser ein Zitat von Mark Twain: „Die Nachrichten von meinem Tod sind maßlos übertrieben.“ Die Börse hat bislang langfristig noch jede Krise weggesteckt. Warum sollte das dieses Mal bei diesem externen Schock anders sein? Und an Aktien kommen wir zum langfristigen Vermögensaufbau doch nicht vorbei (vgl. Heller 2020). Es gibt schlichtweg zurzeit keine sinnvollen Alternativen.
Gleichwohl wird sich die Art, wie wir zukünftig miteinander arbeiten, hoffentlich positiv verändern. Wertschätzung, Respekt, Demut und Zusammengehörigkeit werden gestärkt werden. Also mehr miteinander statt gegeneinander. Nicht mit Konsequenzen drohen, sondern respektvoll einbinden und gemeinsame Ziele betonen. Gemeinsamkeit loben und leben. Wohlfühlatmosphäre verbreiten, durchaus verbunden mit anspruchsvollen Zielen, aber mit dem respektvollen Einfordern von Commitment. Warum sollte das denn zukünftig nicht funktionieren? Weg also von der Ellenbogengesellschaft und hin zur Höflichkeit sowie intelligenten Führung. Mitarbeiter werden zukünftig deutlich mehr Freiräume einfordern. Und, so ein Zufall, wenn das Homeoffice gut organisiert wird, dann leidet die Leistung sicher nicht darunter. Zusätzlich steigt allerdings die Zufriedenheit mit der neu gewonnenen Flexibilität rasant an.

Die Lust auf Zukunft wird wieder spürbar.

Wirtschaftlich wird es auch wieder aufwärtsgehen, vielleicht schneller als gedacht. Lieferketten werden sich rasch wieder einpendeln. Und Angst war in der Vergangenheit selten ein guter Ratgeber. Positives Denken hilft in diesen Zeiten ohne Zweifel. Und am Ende hat diese Krise vielleicht auch ein wenig Gutes. Die Digitalisierungsdynamik bleibt und die Etikette untereinander wird verbessert, die Menschen sind zufriedener und auch die Umwelt wird zukünftig mehr geschont. Eine Kultur des „neuen Miteinander“ (Friedrich Merz) hat sich etabliert. Verhaltensweisen, die nicht den reinen Profit und die Ellenbogengesellschaft ins Zentrum stellen, sondern Rücksicht auf das Miteinander nehmen. Eine „Gemeinsam-Kultur“, in der jedes Individuum neu gelernt hat zu schätzen, was wir haben. Und zu guter Letzt wird Donald Trump vielleicht endlich abgewählt. Doch diese Hoffnung wird nicht Realität werden. Unglaublich aber wahr, seine Beliebtheitswerte sind gerade jetzt so hoch wie nie.

Bilder zum Artikel:
Autorin(nen) / Autor(en):
Lehrstuhl für Marketing und Vertriebsmanagement, ESB BUSINESS SCHOOL REUTLINGEN
Prof. Schmäh Sales & Service Consulting
OEM Liaison Manager
Petronas Lubricants International