KarmaKonsum goes Mainstream Teil 2: Zielgruppe "Bio-Natives"

KarmaKonsum goes Mainstream Teil 2: Zielgruppe "Bio-Natives"

In der letzten Ausgabe haben wir aufgezeigt, wie sich das Interesse für ökologische und fair produzierte Produkte immer weiter ausweitet und zu Teilen heute bereits im Mainstream angekommen ist. Diesen gesellschaftlichen Trend haben wir zum Anlass genommen, zwei neue Zielgruppen zu skizzieren: die Verantwortungsvolle Konsum-Mitte, die wir im ersten Artikel ausführlich beschrieben haben, und die Bio-Natives, die wir in dieser Ausgabe näher betrachten wollen.

Zwei typische Bio-Natives: Miriam und Sebastian. Miriam ist 28 Jahre alt und lebt zusammen mit ihrem ein Jahr älteren Freund Sebastian in der Stuttgarter Innenstadt. Miriam hat Erziehungswissenschaften in Marburg studiert und hat nun eine Promotionsstelle an der Uni Stuttgart. Sebastian ist BWLer und arbeitet bei einer Unternehmensberatung.
Miriam war schon als Kind oft mit ihrer Mutter im Bio-Laden Schrot & Korn einkaufen. Zu Hause gab es Vollkornbrot statt Weißbrot und Samba-Aufstrich statt Nutella. Mit 15 Jahren wurde sie Vegetarierin, nachdem sie im Fernsehen Reportagen über Massentierhaltung und Tiertransporte gesehen hatte. Gesunde und fair produzierte Lebensmittel waren ihr auch während des Studiums wichtig. Weil sie als Studentin allerdings aufs Geld achten musste, kaufte sie statt im teuren Bio-Laden bewusst die günstigen saisonalen Produkte vom Bio-Bauern am Wochenmarkt.
Sebastian hingegen ist nicht mit Bio-Produkten aufgewachsen. Seine Eltern haben ihre großen Wocheneinkäufe beim Discounter gemacht. Nur Fleisch und Wurst wurde beim lokalen Metzger geholt und das Brot beim Bäcker. Ansonsten hat man bei ihm zu Hause die Qualität der Lebensmittel nicht kritisch hinterfragt – vielmehr standen die Preise im Vordergrund. Die vielen Medienberichte und Lebensmittelskandale haben allerdings auch Sebastian für das Thema sensibilisiert. Schon vor Jahren fing er an, einzelne Produkte für sich im Bio-Laden zu kaufen: Amaranth-Schokoladen-Müsli, Yogi-Tee und Mehrkornbrot mit Möhrenraspeln.

Starker Fokus auf Bio-Lebensmittel und bewusste Ernährung

Typisch für diese Generation ist also ein starker Fokus auf Lebensmittel. Sie ist mit dem Bewusstsein aufgewachsen, dass die Qualität von Nahrungsmitteln sehr unterschiedlich sein kann. Einige haben bereits in ihrer Kindheit Bio-Produkte und das Einkaufen – in damals noch kleineren – Bio-Läden kennen gelernt. Die Mehrheit hingegen hat ihre Eltern beim Gang zum Discounter begleitet und grenzt sich heute bewusst dagegen ab. „Du bist was Du isst“, ist ihre Devise.
Entscheidend geprägt hat sie auch, dass sie aufgewachsen sind mit den großen Lebensmittelskandalen wie BSE, Schweinegrippe, Gen-Mais oder Analog-Käse. Mit der vermehrten Skepsis und Ablehnung gegenüber regulären Produkten, allen voran Lebensmitteln aus dem Supermarkt, wuchs das Interesse an teureren Produkten aus Bio-Läden und direkt vom Bauern. Gerade die regionale Produktion und die damit einhergehenden kurzen Transportwege wurden ihnen in den letzten Jahren immer wichtiger.
All das wollen sich die Bio-Natives durchaus etwas kosten lassen. Dennoch sind sie froh, dass man hochwertige und regionale Bio-Lebensmittel inzwischen bequem und zu überschaubaren Preisen bei Alnatura bekommt. In Supermärkten wie Rewe oder dm kaufen sie aber auch regelmäßig ein: vor allem Getränke, Haushaltsbedarf und einige Standardlebensmittel wie Spaghetti oder Sojamilch – da Großeinkäufe im Bio-Laden eben doch unbezahlbar sind. Aldi oder Lidl kommen allerdings gar nicht infrage: „Da bekommt man richtige Schuldgefühle, denn für solche Preise können Lebensmittel nicht vernünftig produziert werden.“

Mit dem eigenen Konsum ein Zeichen setzen und politisch agieren

Es geht aber nicht nur darum, sich selbst etwas Gutes zu tun, sondern auch darum, mit Kaufentscheidungen Zeichen zu setzen. „Wenn man gegen Massentierhaltung ist, reicht es eben nicht, seine Unterschrift auf eine Liste zu setzen. Man muss auch einen persönlichen Beitrag leisten und auf Billig-Fleisch verzichten.“
Neben Lebensmitteln achten sie auch bei anderen Produkten wie Kleidung, Kosmetik, Putzmitteln oder Möbel auf Nachhaltigkeit.
Kleidung kaufen Bio-Natives gerne bei Online- Shops, die sich auf nachhaltige Produkte spezialisiert haben, wie armedangels.de, fairtragen.de und zuendstoff. de oder auch bei Shops wie myoma.de, wo Mützen, Schals & Co. von Omas gestrickt werden. Hier bekommen sie detaillierte Informationen über die Produkte. Wichtig ist, dass die Kleidung nicht nur bio & fair ist, sondern auch noch gut aussieht. H&M wird als Hersteller für Kleidung wegen der Kinderarbeit abgelehnt.
Auch beim Möbelkauf sind den Bio-Natives Nachhaltigkeit und Individualität wichtig. Geachtet wird auf schnell nachwachsende Rohstoffe wie Rattan oder Bambus. Einige Einrichtungsgegenstände werden auch weiterhin bei Ikea gekauft. Beliebt ist zudem das Neugestalten von alten massiven Möbeln, um sich seine ganz persönliche Einrichtung zu schaffen, um Kosten zu sparen, aber auch, um ein Zeichen gegen die Wegwerfgesellschaft zu setzen. Spezielle Möbel aus Biooder Naturmöbelhäusern werden aufgrund der hohen Preise eher selten gekauft.

Konsumverhalten der Bio-Natives in den verschiedenen Lebensphasen

Doch das Ideal im Alltag auch täglich umzusetzen, ist für die Bio-Natives nicht immer leicht. Zwei Herausforderungen begegnen ihnen in unterschiedlichen Lebensphasen: Am Anfang fehlt etwa das Geld und später müssen Kompromisse aus Zeitgründen gemacht werden.
Während ihres Studiums/Ausbildungszeit verfügen die Bio-Natives in der Regel über ein überschaubares monatliches Budget. Die höheren Kosten für das gesündere Bio-Essen werden auf drei Arten kompensiert: durch einen weiteren Nebenjob und dadurch höhere Einnahmen, durch Konsumverzicht in anderen Lebensbereichen, aber vor allem durch überlegtes Einkaufsverhalten – wie Angebote auf dem Wochenmarkt und vor allem saisonales Obst und Gemüse – und Selbstkochen statt Essengehen.
Im Berufsleben angekommen, haben die Bio-Natives größere finanzielle Freiräume. Jetzt können sie auch regelmäßig die teuren Produkte aus den Bio-Läden kaufen. Die neue Herausforderung, die sich nun ihrem Ideal vom gesunden und nachhaltigen Leben entgegenstellt, ist der Zeitmangel. Während im Studium das regelmäßige Kochen zum Alltag dazugehörte, fehlt nun unter der Woche meist die Zeit dazu bzw. es kollidiert oft mit anderen Freizeitaktivitäten. So wird das Kochen als besonderes Ereignis zunehmend auf das Wochenende verschoben. Um sich jedoch auch unter der Woche gesund zu ernähren, werden gerne Bio- Bistros aufgesucht, die Genuss und gesunde Qualität für Eilige bieten. Die wachsende Anzahl an entsprechenden Angeboten ist unübersehbar: Bio-Supermärkte haben große Bistro-Bereiche angeschlossen, Bio- Imbisse wie Dean & David sind höchst erfolgreich.
Mit wachsender Kaufkraft weitet sich der Konsum von Bio-Produkten neben Lebensmitteln zunehmend auch auf andere Produktbereiche wie Kleidung oder Kosmetik aus. Bevor eine Marke das erste Mal gekauft wird, informieren sich die Bio-Natives zuerst im Internet über Hersteller und Produktionsbedingungen. Als Orientierungshilfe dienen Informationen über Hersteller und Gütesiegel, die z.B. der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) auf seiner Web-Seite zur Verfügung stellt. Daneben spielt auch die Weitergabe von Hersteller- Informationen über Facebook eine wichtige Rolle.
Für Bio-Natives, die bereits in der Familienphase angekommen sind, ist die gesunde Ernährung ihrer Kinder besonders wichtig. Gerade das Wissen über die zahlreichen gesundheitlichen Gefahren, die von herkömmlichen Produkten ausgehen, lässt den Kauf von Bio-Produkten schlichtweg zur Notwendigkeit werden, um den eigenen Nachwuchs zu beschützen: ob Lebensmittel, Kleidung oder Spielzeug, die Bio-Natives prüfen die Produkte besonders sorgfältig, wenn es um ihre Kinder geht.

Fazit: eine kritische Zielgruppe mit wachsendem Potenzial

Der Masse an Bio-Labeln und dem wachsenden Bio- Angebot in Supermärkten und Discountern stehen die Bio-Natives skeptisch gegenüber. Als kritische Verbraucher wissen sie: Gute Produkte, die in der ganzen Produktions- und Logistikkette ökologisch erzeugt und fair gehandelt sind, müssen einen höheren Preis haben. Diesen ist man bereit zu bezahlen – für die eigene Gesundheit, für die Gesellschaft, aber natürlich auch für den persönlichen Genuss. In einem gewissen Rahmen machen zwar auch die Bio-Natives hier Kompromisse und sind dankbar für gute Angebote – sie prüfen deren Glaubwürdigkeit jedoch kritisch.
Sie bleiben die Gruppe von Konsumenten, die sich am umfassendsten informiert – und das auch jenseits der großen Medien und PR-Kanäle. Das Internet und Social Media sind für diese Generation die entscheidende Informationsquelle und Prüfinstanz. Im Social-Media-Diskurs werden Informationen über Angebote ausgetauscht und über deren Glaubwürdigkeit entschieden. Pseudo-Bio-Produkte werden dort meist schnell identifiziert und dann gemieden. Das sollten Hersteller nicht unterschätzen und sicherstellen, dass Angebote für diese Zielgruppe tatsächlich entlang der ganzen Prozesskette die postulierten Standards von Ökologie und Nachhaltigkeit einhalten können.

Bilder zum Artikel:
Autorin(nen) / Autor(en):
Division Director Health & FMCG
GIM (Gesellschaft für Innovative Marktforschung)
Projektmanagerin
GIM