Mehr Erfolg mit Purpose und Haltung

Mehr Erfolg mit Purpose und Haltung

Purpose Mitarbeiter und Kunden fordern von Unternehmen immer häufiger eine klare Haltung. Profilierte Unternehmen benötigen darüber hinaus einen Purpose, der das eigene Handeln legitimiert und Mitarbeiter, Kunden und Gesellschaft gleichermaßen inspiriert.

Als Simon Sinek 2009 seinen Bestseller Start with why veröffentlichte, kämpften die meisten Unternehmen noch mit den Folgen der Weltfinanzkrise. Mit dem anschließenden globalen Wirtschaftsboom ist die Frage nach dem „Warum“ dann in den Fokus der unternehmerischen Aufmerksamkeit gerückt. Der Purpose gilt heute als Top-Thema in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Er bezeichnet den (höheren) Unternehmenszweck und damit die Daseinsberechtigung von Unternehmen, die über eine reine Gewinnorientierung hinausgeht. Vielfach ist von Sinnhaftigkeit und Sinnstiftung die Rede, insbesondere in Bezug auf Mitarbeiter und Kunden.

Purpose und Haltung sind nicht das Gleiche

In engem Zusammenhang mit dem Purpose steht der Begriff Haltung. Beide Bezeichnungen werden fallweise sogar synonym verwendet, was jedoch falsch ist. Haltung beschreibt, abweichend vom Purpose, die innere Grundeinstellung oder Geisteshaltung eines Unternehmens, die das Selbstverständnis und den Weltbezug konkretisiert und damit das Denken und Handeln des Unternehmens und der für das Unternehmen arbeitenden Menschen prägt. Dazu zählt zum Beispiel die Haltung zu Kinderarbeit, Klimaschutz und Diversität, aber auch zur Integration von Menschen mit Behinderung und zur Vermeidung inakzeptabler Zustände bei Lieferanten und bei Lieferanten von Lieferanten. Viele Unternehmen schauen hier noch immer nicht genau hin, weil sie es gar nicht so genau wissen wollen. Haltung sieht anders aus! Haltung bedeutet, Rückgrat zu zeigen und bereit zu sein, für die eigene Haltung auch Nachteile in Kauf zu nehmen, zum Beispiel höhere Lieferantenpreise, die mit der Etablierung verbesserter Arbeitsbedingungen einhergehen.
Die sich daraus ergebenden Herausforderungen hat eine erstmals im Juli 2018 veröffentlichte Studie von GlobeOne deutlich gemacht. Auch die zweite Studie im August 2019 hat gezeigt, dass bisher nur wenige Unternehmen „Purpose Ready“ sind. Dazu ist es erforderlich, dass der Purpose eines Unternehmens glaubhaft zu einer besseren Welt beiträgt. GlobeOne zufolge ist das der Fall, wenn Unternehmen als ehrlich, authentisch, verantwortungsvoll, nachhaltig und zukunftsfähig wahrgenommen und mit möglichst wenigen negativen Assoziationen und Skandalen in Verbindung gebracht werden.

Das Ende des Shareholder-Value-Ansatzes

Ebenfalls im August 2019 haben 181 US-amerikanische CEOs des „Business Roundtable“ eine Erklärung zum „Purpose of a Corporation“ unterschrieben und veröffentlicht, die sich stark an das Davoser Manifest von 1973 anlehnt. Darin verpflichten sich die Top-Manager, ihre Unternehmen nicht mehr nur zum Wohle der Anteilseigner, sondern zum Wohle aller Interessengruppen, insbesondere der Kunden, Mitarbeiter, Lieferanten, lokalen Gemeinschaften und Aktionäre zu führen. Zeitgleich hat in Deutschland die von acht international tätigen Unternehmen gegründete „value balancing alliance“ ihre Arbeit aufgenommen. Ziel des Vereins ist es, einen standardisierten Ansatz zur Messung und Offenlegung der ökologischen, menschlichen, sozialen und finanziellen Wertbeiträge von Unternehmen für die Gesellschaft zu entwickeln. Im Kern geht es bei beiden unternehmensübergreifenden Initiativen um die Frage nach dem „Warum“.

Der Golden Circle als Ausgangsbasis

Dieses „Warum“ steht im Mittelpunkt des Golden Circle von Simon Sinek. Es lässt Unternehmen verstehen, warum sie tun, was sie tun. Das Warum beschreibt ihren Zweck (Purpose), ihre Veranlassung (Cause) beziehungsweise ihre Überzeugung (Belief). Es beantwortet die Frage, warum das Unternehmen existiert, warum die Mitarbeiter jeden Morgen aufstehen und zur Arbeit gehen und warum das unternehmerische Handeln Dritte im positiven Sinne interessieren sollte. Demgegenüber macht das „Wie“ deutlich, wie das Warum erreicht werden kann, zum Beispiel durch ein differenzierendes Wertversprechen, einen proprietären Prozess und/oder ein Alleinstellungsmerkmal (USP). Das Wie erklärt Sinek zufolge, warum ein Unternehmen anders und/oder besser ist. Das „Was“ schließlich beschreibt ganz profan, welche Produkte und/oder Dienstleistungen es anbietet.
Der Ansatz mit den drei Ebenen Warum, Wie und Was ist einerseits einfach und eingängig, andererseits fehlt ihm der nötige Tiefgang und die notwendige Trennschärfe, um in der Unternehmenspraxis als umfassender Ansatz Verwendung zu finden. Meist werden weitere Ansätze wie Mission, Vision und Leitbild parallel verwendet, was häufig zu Unstimmigkeiten führt und für Verwirrung sorgt.

Die Golden Ratio als Weiterentwicklung

Im Folgenden wird deshalb mit der Golden Ratio eine Weiterentwicklung des Golden Circle vorgestellt. Das Golden-Ratio-Raster integriert neben dem Purpose weitere, für das Unternehmensselbstverständnis zentrale Aspekte wie Profil, Produkte und Positionierung sowie, flankierend, Haltung und Insights. Den Rahmen bilden vor- und nachgelagert Mitarbeiter beziehungsweise Kunden sowie flankierend Partner und Wettbewerber sowie Politik und Gesellschaft, die gemeinsam mit dem Unternehmen den Handlungsrahmen aushandeln, innerhalb dessen gehandelt werden sollte. Während der Purpose das Warum beantwortet, liefert das Wie, abweichend von Sinek, ein aus einem Markenkernwert und zwei bis vier Markenwerten bestehendes Profil und die Produkte, die weiter gefasst auch Dienstleistungen einschließen, beschreiben das Was. Aus diesem Dreiklang ergibt sich die Positionierung am Markt. Sie beschreibt das Selbstverständnis des Unternehmens und setzt es in Relation zum Wettbewerb. Meist werden dazu zweidimensionale Ansätze verwendet, die die unterschiedlichen Marken anhand von zwei bedeutsamen Aspekten im Raum verorten und die Position zueinander visuell veranschaulichen. Daneben sind Ries und Brandtner zufolge Positionierungen als Marktführer, Herausforderer, als von Experten präferierte Leistung, als Original oder Kategorie-Erfinder, als Spezialist, nächste Generation oder über eigenständige Markenelemente möglich.
Den vier P der Golden Ratio - Purpose, Profil, Produkte und Positionierung - liegt die Haltung des Unternehmens zu gesellschaftlich relevanten Fragen und ein profundes Kundenverständnis in Form von Insights zugrunde. Die Insights beziehen sich insbesondere auf die aktuelle und prognostizierte Entwicklung des Kundenverhaltens. Dadurch kann eine höhere Passgenauigkeit des eigenen Leistungsangebots erreicht und in der Folge der Absatz gesteigert werden, wobei ein höherer Nutzen für beide Seiten angestrebt wird (siehe Abbildung 1).
Die konkrete Ausgestaltung der Golden Ratio hängt vor allem von der gewählten Markenarchitektur des Unternehmens ab. Unternehmen, die eine reine Unternehmens- beziehungsweise Dachmarkenstrategie verfolgen, was nach Aaker auch als Markenhaus („Branded House“) bezeichnet wird, benötigen meist nur ein Golden-Ratio-Raster, wohingegen Unternehmen mit vielen eigenständigen Einzelmarken und damit einem Haus der Marken („House of Brands“) meist für das Unternehmen als Ganzes und für jedes Produkt beziehungsweise jede Dienstleistung ein eigenes Golden-Ratio- Raster erarbeiten. Dabei kommt es zu Redundanzen. Auf Unternehmensebene kann auf die Aspekte Positionierung und Insights verzichtet werden, die stattdessen auf der Leistungsebene ausgearbeitet werden. Auf der Leistungsebene wiederum ist die Ausformulierung des Purpose und der Haltung nicht erforderlich, da beides bereits auf Unternehmensebene festgelegt wurde und unternehmensweit gilt. Im Ergebnis lassen sich somit die meisten Markenarchitekturen anhand der drei in Abbildung 2 wiedergegebenen, unterschiedlich umfangreichen Golden-Ratio-Raster darstellen.

Entscheidend für den weiteren Unternehmenserfolg wird sein, ob es Unternehmen gelingt, glaubwürdig und dauerhaft eine klare Haltung einzunehmen, auch wenn damit vereinzelt wirtschaftliche Nachteile verbunden sind.

Die Golden Ratio erleichtert es Unternehmen mit unterschiedlichen Markenarchitekturen, ein oder mehrere für das eigene Unternehmen passgenaue Raster zu entwickeln, vorhandene Ansätze zu integrieren und für alle klar verständlich zu strukturieren. Im Ergebnis erhalten Unternehmen einen umfassenden, konsistenten Handlungsrahmen, der intern Orientierung gibt und extern für Attraktivität sorgt. Allen beteiligten und interessierten Personen und Personengruppen verdeutlicht die Golden Ratio, warum es das Unternehmen gibt und welchen Beitrag es mit seinen Produkten und Dienstleistungen für die Gesellschaft leistet.
Entscheidend für den weiteren Unternehmenserfolg wird sein, ob es Unternehmen gelingt, glaubwürdig und dauerhaft eine klare Haltung einzunehmen, auch wenn damit vereinzelt wirtschaftliche Nachteile verbunden sind, und einen Sinn stiftenden Purpose zu finden, der Mitarbeiter und Kunden gleichermaßen begeistert und an das eigene Unternehmen bindet.

Literaturtipps

Brandtner, M. (2019): Markenpositionierung im 21. Jahrhundert, Linde Corporate, Wien.

Kilian, K. (2018): Markenidentitäten und Imagetransfers optimal gestalten, in: Kilian, K.; Pickenpack, N. (Hrsg.): Mehr Erfolg mit Markenkooperationen, Business Village, Göttingen.

Kilian, K. (2019): BEST of Branding für Start-ups, in: Kochhan, C.; Könecke, T.; Schunk, H. (Hrsg.): Marken und Start-ups, Springer Gabler, Wiesbaden.

Kilian, K. (2020): Marken erfolgreich managen, Kohlhammer, Stuttgart.

Spall, C.; Schmidt, H.J. (2019): Personal Branding, Springer Gabler, Wiesbaden.

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Autorin(nen) / Autor(en):
Professor für Marketing und Markenmanagement
Hochschule Würzburg