Markenbionik – Impulse aus der Bio-Wissenschaft

Markenbionik – Impulse aus der Bio-Wissenschaft

Die innovativsten Impulse für eine Weiterentwicklung der Markenführung kommen heute aus den modernen Bio-Wissenschaften. Die Biologie und ihre Tochterwissenschaften wie Kybernetik, Bio- Psychologie, Sozio-Biologie, Neuro-Biologie und Evolutionstheorie verändern aktuell unser Weltbild vom Menschen und seiner Lebenswelt. Dabei erweist sich eine umfassende Bionik für eine Modernisierung der Markenführung am fruchtbarsten: Sie lehrt, in Jahrmillionen perfektionierte Überlebensstrategien der Natur zu erkennen und zu nutzen.

Der Mensch hat immer dann große Fortschritte erzielt, wenn er die Strategien und Prinzipien der Natur erkannt und angewendet hat. Die Bionik systematisiert das Lernen von und mit der Natur. Bionik heißt Technik nach dem Vorbild und im Zusammenwirken mit der Natur. Die meisten Bioniker sind heute immer noch Ingenieure, Techniker, Naturwissenschaftler, die von der Natur für ihre Produkte und Verfahren lernen. Gern zitierte bionische Produkte sind sich selbst reinigende Oberfl ächen nach dem Vorbild der Lotusblüte oder reibungsarm gleitende Oberfl ächen nach dem Vorbild der Schuppenstruktur des Hais. Auch neue Flugzeugkonstruktionen werden als bionische Entwicklungen gefeiert. Bionische Verfahren sind heute da aktuell, wo Naturkräfte, nicht zuletzt unter Nachhaltigkeitsmaßstäben, genutzt werden. Auch Sozialwissenschaftler und Betriebswirte haben in jüngster Zeit Versuche mit bionischen Systemen unternommen. Nachdem die Marke als lebendes System erkannt wurde, ist das Ziel der Markenbionik, die natürlichen Eigenkräfte einer Marke zu erkennen und zu nutzen, statt mit begrenzten fi nanziellen Mitteln künstliche Markenkraft aufzubauen. Die Bionik verspricht daher einen Effektivitätssprung in der Markenführung: die Steigerung der Markenwirkungen bei gleichzeitiger Senkung der Marketingkosten. Wie ist das zu erreichen?

1. Die Perspektive wechseln
Der Begriff „Marke“ wird immer noch sehr unterschiedlich gebraucht: Juristen glauben, dass sie mit der Eintragung eines Wort- oder Bildzeichens eine Marke zur Welt gebracht hätten. Designer glauben, dass sie mit der Gestaltung eines Logos eine Marke geschaffen hätten. Werber glauben, dass sie durch die Bildung eines Image eine Marke kreiert hätten. Und Manager glauben, dass sie durch die Penetration dieses Image eine Marke aufgebaut hätten. Namen, Logos, Images – alles das wird als Marke behandelt, ist jedoch noch lange keine. Und alle, die behaupten, es wären Marken, irren sich aus dem gleichen Grund: Sie verdanken ihre Ansicht der Vorstellung, eine Marke „machen zu können“ und sie nach ihrem Willen in einem Markt durchsetzen zu können. Allen Machern ist gemein, dass sie zur Durchsetzung ihrer „Marken“ hohe Investitionen aufwenden. Die Budgets zum Aufbau starker Marken in Kommunikation, Marketing und Vertrieb sind über Jahrzehnte kontinuierlich angeschwollen. Das Spektrum bezahlter Dienstleister ist in kaum einem anderen Bereich so gewachsen: Neben Beratungen und Marktforschungsinstituten geben sich Design-, Werbe-, PR-, Event-, CI-, Sponsoring- und Media-Agenturen die Türklinken wechselseitig in die Hand. Alle wollen sie eine Marke „machen“. Die getätigten Wirkungen waren vergleichsweise bescheiden. Würden all die Macher ihren Standort wechseln, würden sie ernsthaft versuchen, ihre Markenanhängerschaft und deren Nöte zu verstehen, dann würden sie zu einem anderen Markenverständnis kommen: Marken kann man nicht machen, Marken kann man nur „züchten“, aufziehen und verständnisvoll pfl egen. Denn Marken sind schon da – in den Köpfen ihrer Anhänger. Und Marken sind schon lange da – von Beginn der Menschheit an leiten sie ihre Entwicklung.

2. Zum Kulturbotschafter werden
Will man die Natur der Marke verstehen, muss man folglich die Natur ihrer Anhängerschaft – die des Menschen – verstehen. Die Natur des Menschen ist aber gerade seine Kultur. Alles was die Natur des Menschen heute ausmacht, ist in kulturelle Kontexte eingebettet. Eine nackte Natur des Menschen gibt es nicht mehr. Der Mensch ist seit etwa 10 000 Jahren ein Kulturwesen und seine Marken bündeln kulturelle Erfahrungen in kulturellen Werten zu seiner kulturellen Orientierung. Soziokulturelle Werte würde der Soziologe präzisieren, neuronale Verhaltungsmuster würde der Hirnforscher erläutern; innere Bilder würde der Psychologe zusammenfassen, transzendente Glaubensgewissheiten würde der Religionsforscher andeuten, Mythen würde der Anthropologe schlicht und einfach sagen. Die Kraft, die von diesen Mythen ausgeht, nennt der Fachmann Mythomotorik. Sie ist die Eigenkraft aller Marken, jene Orientierungskraft, die aus unterschiedlichen Individuen stabile Gemeinschaften bildet und in ihrem Verhalten leitet. Die Motorik der Mythen vergemeinschaftet unabhängige Individuen zu Brand Communities. Peter Zernisch, Altmeister der Markenstrategie, sprach es als Erster aus: Marken sind Mythen. Eine echte Marke hat keinen Mythos, sie ist ein Mythos: die Aktualisierung eines alten Mythos, seine Wiedergeburt. Wann und wo immer eine Marke das Licht der Welt erblickte, wurde diese selten mit Absicht und meistens durch glückliche Umstände auf einen uralten Mythos aufgesetzt und kommunizierte dessen Bedeutung in zeitgemäßer Erscheinungsform. Sie erneuerte den Mythos und gab seinem Sinn aktuelle Bedeutung. So kommt es, dass unsere kulturellen Werte wie Nächstenliebe, Mutterliebe, Fürsorge, Mitleid, Wagemut, Gerechtigkeit, Dankbarkeit, Treue, Freiheit usw. niemals aussterben.

3. Die Macht des Mythos anerkennen
Dem Markenmanager eröffnet sich dadurch eine neue Chance im Wettbewerb: Mit der Nutzung einer in Jahrtausenden der Menschheitsentwicklung gebildeten kollektiven handlungsleitenden Kraft, der Mythomotorik, steht ihm eine Energie zur Verfügung, die ihm ungleich mehr Wettbewerbsmacht verleiht als jede künstlich aufgebaute Markenkraft. Er weiß nun, wo es einen starken Mythos gibt, da gibt es auch eine starke Gemeinschaft. Und wo es eine starke Gemeinschaft gibt, da gibt es auch einen starken Mythos. Das eine bedingt immer das andere. Jede Marke hat für ihre Community eine ganz besondere vitale Bedeutung. Jeder Versuch, eine Marke ohne Verständnis ihrer besonderen mythischen Bedeutung zu managen, gleicht einem Blindflug. Ein Zusammenwirken der ökonomisch gerichteten Bestrebungen eines Markenmanagers mit den kulturell gerichteten Bestrebungen seiner Community ist nur über ein Verständnis des natürlichen Ursprungs und der mythischen Orientierungsfunktion seiner Marke erreichbar. Und dies bedeutet, dass der Markenmanager den Mythos seiner Marke kennen und verstehen muss. Er muss das Management seiner Marke an den zwingenden Bedeutungen seines Mythos ausrichten. Er muss anerkennen, dass dieser Mythos über Jahrtausende eine kollektive Orientierungsfunktion ausübte, die nicht einfach verändert werden kann. Er muss akzeptieren, dass er seine bescheidenen Investitionen nur dann zu großer Wirkung bringen kann, wenn sie auf die Aktualisierung der mythischen Eigenkräfte seiner Marke zielen. Und er muss verstehen, dass der Ursprung dieser Kräfte niemals in dem kurzen Zeitraum zu finden ist, in dem das Produkt oder das Unternehmen in die Welt kamen. Mythen existieren und wirken schon viel länger, andernfalls könnten sie uns nicht die schnelle und umfassende psychische Entlastung und damit Orientierung bieten, weshalb sie für uns so existenziell sind.

4. Den Mythos seiner Marke erforschen
Bionische Markenführung braucht eine bionische Markenforschung. Eine bionische Markenforschung ermittelt die natürlichen Eigenkräfte einer Marke, ihre Mythomotorik. Die Motorik kultureller Werte wirkt in Gemeinschaften und dort wirkt sie absolut unbewusst. Kein Individuum in einer Brand Community ist sich seiner Orientierungsnotwendigkeit bzw. der Orientierungsleistung seiner Marke bewusst. Bionische Markenforschung ist deshalb Community-Forschung, keine Individualforschung. Die Mythomotorik einer Marke kann über keine Form der Meinungsforschung – der Befragung von Individuen im weitesten Sinne – ermittelt werden. Alle direkten oder indirekten Aussagen über Marken von Mitgliedern einer Brand Community dienen lediglich der Selbstbehauptung des Individuums gegenüber den kollektiv wirkenden Kräften dieser Marken und können diese folglich niemals erklären. Jede Meinungsbildung über eine Marke, jedes Image einer Marke ist eine irreführende kognitive Konstruktion. Community-Forschung ermittelt an Stelle von Meinungen über eine Marke Assoziationen auf eine Marke. Diese Assoziationen sind unabhängig von den Forschungsumständen exakt reproduzierbar: Unabhängig von Ort und Zeit, unabhängig von Versuchspersonen und ihren individuellen Ansichten über die Marke und unabhängig von den Forschungsleitern und ihren subjektiven Interpretationen der Forschungsergebnisse. Nur eine objektiv gemessene und statistisch exakte Assoziationsmessung gibt dem Markenmanager die Zielsicherheit, die er für seine Markenführung benötigt. Bionische Markenforschung ermittelt erstmals kollektiv-unbewusste Wirkungszusammenhänge. Sie definiert dem Markenmanager den kulturellen Wertekomplex seiner Marke, ihre unveränderliche Kraftquelle, nicht ihr veränderliches Image. Dadurch liefert bionische Markenforschung ein stabiles Wirkungsziel für die langfristige Ausrichtung aller Kommunikations-, Marketing- und Vertriebsaktivitäten.

5. Dem Mythos seiner Marke dienen
Wenn der Markenmanager dem Mythos seiner Marke dient, indem er keine ursprungsfremden Bedeutungen, Botschaften oder Symbole kommuniziert, dann potenziert er seine Markenwirkung automatisch. Er hat damit endgültige Entscheidungssicherheit in den Aktivitäten der operativen Arbeitsbereiche Produkt, Marketing, Vertrieb und Kommunikation, weil ihm dort nun ein zentraler Zielmaßstab vorliegt zur Konzeption und Beurteilung von Produkten, -verpackungen und -präsentationen, Distributionsmitteln und -maßnahmen in Merchandising und Verkaufsförderung bis hin zur Entwicklung von CI-Elementen, PR- und Werbemaßnahmen, Sponsoring- und Eventaktionen. Im Ergebnis führt ein bionisches Markenmanagement ohne Umwege zum Wirkungsziel und erspart so Zeit, Geld und Nerven: Der Markenmanager kann sich an einem einzigen „inneren“ Maßstab orientieren und braucht nicht mehr auf die vielfältigen „äußeren“ Maßstäbe Rücksicht zu nehmen wie Wettbewerbsaktivitäten, Verbrauchermeinungen, Branchentrends, Managementmoden oder Agenturkreativität. Er hat nun endlich seinen Stil gefunden. Jeder Mythos und damit jede Marke begründet ihren eigenen Stil. Er wurzelt im Humus kultureller Werte und wächst im Lichte aktueller Images. Durch Stil tritt die Marke in Erscheinung, gelangt durch einen Markenstil zur Wirkung. Nachhaltig erlebt der Markenanhänger seine Wertorientierung als Mitglied einer Brand Community und dadurch seine Abgrenzung von anderen Communities nur durch den Stil seiner Marke. Vom Mythos weiß er nichts. Der Stil – verkörpert durch das Erscheinungsbild von Unternehmen, Produkten und Kommunikationsmitteln, auch durch das Verhalten der Markenbotschafter – wird dann als kulturelles Unterscheidungsmerkmal von den Mitgliedern der Community genutzt. Sichert der Markenstil eine nachhaltige Distinktion der Markenanhänger in ihrer Gesellschaft, so erheben diese seine Produkte in den Rang von Kultobjekten.

Autorin(nen) / Autor(en):
Geschäftsführender Gesellschafter
Zernisch Institut, Köln