Kundenneid – Wenn aus Differenzierung Diskriminierung wird

Kundenneid – Wenn aus Differenzierung Diskriminierung wird

Eine wesentliche Aufgabe des Marketings besteht in der Differenzierung betrieblicher Leistungen. Erfolgreiche Differenzierung hilft dabei, Zahlungsbereitschaften abzugreifen. Differenzierungen können dabei als echt oder unecht vom Kunden wahrgenommen werden. Im digitalen Zeitalter einer gesteigerten Transparenz der Unternehmensleistungen führen unechte Differenzierungen, denen aus Kundensicht keine wahrnehmbare Mehrleistung zugrunde liegt, rasch zu negativen Emotionen der benachteiligten Kunden. Diese fühlen sich gegebenenfalls diskriminiert. Jene gefühlte oder tatsächliche Diskriminierung kann auf das Verhalten der Kunden durchschlagen. Ein solcher Fall liegt dann vor, wenn Kundenneid entsteht, der sich entweder gegen das Unternehmen oder aber gegen andere Kunden richten kann.

Stellen Sie sich vor: Sie haben einen zweiwöchigen Urlaub in ein beliebtes Urlaubsgebiet gebucht. Der Urlaub verläuft zunächst wie erhofft zu Ihrer vollsten Zufriedenheit. Am letzten Urlaubstag treffen sie zufällig einige andere Urlauber an der Hotelbar. Nach ein paar Drinks stellen Sie fest, dass alle anderen für die Reise bei gleicher Leistung deutlich weniger bezahlt haben als Sie. In einem Fall liegt der Preisunterschied sogar bei 50 Prozent. Und dies, obwohl Sie dachten, Sie hätten bei der Buchung wirklich einen günstigen Preis erhalten. Wie würden Sie reagieren?
Dynamische Preisstrategien differenzieren zwischen Kunden und bieten ihnen gleiche oder ähnliche Leistungen zu unterschiedlichen Preisen an. Sie sind ein wichtiges Mittel, um Zahlungsbereitschaften abzuschöpfen. Dies wird bereits in der Grundlagenveranstaltung Marketing im Studium gelehrt. Beispiele für Kundendifferenzierungen gibt es viele: Die sogenannte „Fast Lane“ bei Lufthansa für Vielflieger, Kundenkarten wie „PayBack“, Studententickets, Seniorenrabatte etc. Doch wie wirken diese Vergünstigungen bei den Kunden, die sie nicht in Anspruch nehmen dürfen? Grundsätzlich können bei diesen Kunden negative Emotionen entstehen. Ob dies aber tatsächlich der Fall ist, hängt mindestens von zwei Faktoren ab: Erstens von der relativen Bedeutung, die die Preisdifferenz für den diskriminierten Kunden hat. Zweitens von der Akzeptanz, die der Begründung entgegengebracht wird. Grundsätzlich gilt dabei, je weniger akzeptiert die Begründung und je höher die Preisdifferenz ist, desto wahrscheinlicher ist der Eintritt einer negativen Reaktion seitens des diskriminierten Kunden.

Grün und gelb vor Neid

Kundenneid ist eine in diesem Zusammenhang wenig beachtete Reaktion. Diese bezeichnet das schmerzhafte Gefühl, das entsteht, wenn man sich mit anderen Kunden vergleicht und dabei schlechter abschneidet. Kundenneid setzt sich vornehmlich aus einer Mischung aus Missgunst, Begierde und Boshaftigkeit gegenüber dem beneideten Kunden zusammen, schließt aber auch Minderwertigkeitsgefühle mit ein. Die Basis von Neid bildet der Vergleich mit anderen: Menschen und damit auch Kunden vergleichen sich konstant mit anderen, um ihre Position und Behandlung einschätzen zu können. Für den Vergleich ist somit nicht die absolute Position entscheidend, sondern wie man relativ zu Kollegen, Freunden, Nachbarn oder eben anderen Kunden abschneidet. Eine Studie des bekannten US-Ökonomen Georg Loewenstein (1989) belegte bereits in den 80er-Jahren, dass Menschen eine starke Aversion dagegen haben, weniger zu erhalten als andere.

Motivierender und destruktiver Neid

Zwei Verhaltensweisen können aus Kundenneid entstehen: Zum einen kann er im Unternehmenssinne positiv motivierend wirken. Dies erfolgt dann, wenn der diskriminierte Kunde sich bemüht, den gleichen Status wie der beneidete Kunde zu erlangen. Neid kann aber auch destruktiv wirken, zum Beispiel dann, wenn der Diskriminierte:
a. den beneideten Kunden Schaden zufügt, um ihren Status zu verringern oder:
b. dem Unternehmen Schaden zufügt, um die Diskriminierung zu sanktionieren. Neid stellt für das Marketingmanagement somit insgesamt ein Optimierungsproblem dar.
Um dem Unternehmen zu schaden, wäre es im Beispiel der eingangs erwähnten Reise unter anderem möglich, seinen Unmut in entsprechenden Internetforen zu äußern. So hat beispielsweise Amazon vor einigen Jahren sehr schlechte Erfahrungen damit gemacht, unterschiedliche Zahlungsbereitschaften abschöpfen zu wollen. In Internetforen stellten Amazon-Kunden fest, dass sie für die gleiche DVD unterschiedliche Preise gezahlt hatten. Ein Nutzer berichtete, dass er, nachdem er eine DVD bestellt hatte, in der folgenden Woche für die gleiche DVD zwei Dollar mehr hätte zahlen sollen. Nachdem er die Amazon-Cookies in seinem Internetbrowser gelöscht hatte, fiel der Preis plötzlich unter den Ursprungspreis. Die Internet-Community war sich schnell sicher, dass die Preise für Stammkunden höher seien als für Neukunden. Sie glaubte, dass Amazon annehme, sie seien bereits für das Unternehmen „gewonnen“ und ihnen würde der geringe Aufpreis nichts ausmachen. Die Preisdifferenzierungen wurden über das Internet schnell publik gemacht, woraufhin Amazon nach massiven Beschwerden und Protesten die Preisdifferenzierungen wieder einstellte (Chicago Tribune, 2000).
Neidverhalten kann aber auch die bevorzugten Kunden treffen, indem zum Beispiel der Wert des gekauften Gutes kommunikativ geschmälert wird, oder man sich öffentlich darüber äußert, wie unfair es sei, dass diese Kunden besser behandelt werden. Dies kann sogar soweit führen, dass diese Kunden als „asozial“ bezeichnet und verachtet werden.

Was ich nicht haben kann, soll sonst auch keiner haben

Über die Wirkungen von Neid in Kundeninteraktionen weiß man bis dato nur wenig, und das, obwohl dieses Verhalten für das Marketing von großer Relevanz sein dürfte. Um diese Forschungslücke zu schließen und um zu erfassen, welchen Schaden Kundenneid in Kundenbeziehungen anrichten kann, wurden am Lehrstuhl für Marketing der Zeppelin Universität in Friedrichshafen die monetären Kosten von Neid experimentell untersucht. Dazu wurden 138 zufällig ausgewählte Studienteilnehmer in einem Experiment jeweils einem anonymen Mitspieler zugelost. Zu Beginn des Experiments erhielt jeder Teilnehmer einen Geldbetrag, den er durch einen 20- Euro-Bonus im Rahmen eines Glücksspiels erhöhen konnte. Diesen privilegierenden Bonus erhielt aber nur einer der beiden Teilnehmer eines Paares. Die Verlierer erhielten keinen Bonus und wurden somit diskriminiert. Nach dem Spiel wurden die Teilnehmer zu ihren Gefühlen befragt. Danach war es den Diskriminierten möglich, einen Teil ihres Vermögens einzusetzen, um den Bonus der Privilegierten im Verhältnis von eins zu zehn zu schmälern. So wurden beispielsweise bei einem Einsatz des Diskriminierten von 0,50 Euro dem Privilegierten fünf Euro abgezogen. Der abgezogene Geldbetrag wurde „vernichtet“ und ausdrücklich nicht dem Diskriminierten gutgeschrieben. Anschließend wurden die Teilnehmer erneut zu ihren Gefühlen befragt.
Die Idee hinter dieser Studie war Folgende: Aus einer ökonomischen Perspektive ergab es für die Diskriminierten keinen Sinn, den Privilegierten zu schaden. Sie hatten keinerlei ökonomischen Nutzen hieraus. Im Gegenteil, dieser Schritt kostete sie sogar noch Geld. Die ökonomische Theorie würde demzufolge vorhersagen, dass kein Diskriminierter dafür zahlen würde, einem Privilegierten zu schaden. Er würde gegen die einfache Regel: „Mehr Geld ist besser als weniger!“ verstoßen. Demnach sollten sich die Teilnehmer also neutral und leidenschaftslos verhalten und den Privilegierten den Bonus überlassen, da sie ihr eigenes Vermögen in keinem Fall erhöhen konnten. Dementgegen reduzierte in unserem Versuch aber etwa ein Drittel der diskriminierten Verlierer fast die Hälfte der Gewinner-Boni. Vor allem bei Männern war das destruktive Neidverhalten besonders stark ausgeprägt: Sie reduzierten bei 30 Prozent ihrer Mitspieler sogar den gesamten Bonus.
Die Kosten von Neid berechnen sich nun aus zwei Beträgen: Zum einem aus dem Betrag, den die Diskriminierten eingesetzt hatten, um den Bonus der Privilegierten zu reduzieren. Zum andern aber auch aus dem entsprechenden Betrag, der den Privilegierten abgezogen wurde. Somit standen diese zwei Geldbeträge der Kundschaft nicht mehr zur Verfügung. In unserem Experiment machte dieses insgesamt ein Siebtel des gesamten zur Verfügung stehenden Geldvolumens nach dem Gewinnspiel aus. Mit anderen Worten: Neid kann erhebliche Schäden in einer Kundschaft anrichten.

Neidisch sind immer nur die anderen

Als Gründe dafür gaben die Teilnehmer unterschiedliche Motive an: Die meisten gaben an, dass sie nicht wollten, dass ihr Mitspieler mehr bekomme als sie selbst. Weitere Gründe waren, dass es „unfair“ oder „ungerecht“ sei, dass der Mitspieler gewonnen habe und nicht sie selbst. Dass keiner explizit angegeben hat, aus Neid gehandelt zu haben, verwundert nicht. Neid ist negativ belegt und sozial unerwünscht. Werden also beispielsweise im Internet zunehmend Begriffe wie „unfair“, „ungerecht“ oder „diskriminierend“ mit den Unternehmensleistungen bzw. in der vernetzten Kundenkommunikation verwendet, so kann dies ein Hinweis darauf sein, dass in Ihrer Kundschaft erste Anzeichen von Neid schwelen.

Die fünf Vs des neid-Managements

Zwischenmenschliche Phänomene wie Vergleiche unter Kunden und das daraus gegebenenfalls resultierende Neidverhalten sind Teil der menschlichen Natur und können somit nicht einfach unterbunden oder eliminiert werden. Es ist daher wichtig, sich diesen Phänomenen zu stellen und sie in die Marketingplanung zu integrieren. Dafür haben wir für Sie fünf Praxistipps zusammengestellt.
 

  • Vergleichen: Neid entsteht durch den Vergleich mit anderen. Es ist daher wichtig zu erkennen, welche Referenzpunkte Kunden verwenden, um ihre Konditionen zu beurteilen.
  • Verstehen: Als Unternehmen sollte man sich bewusst darüber sein, welche Maßnahmen Neid unter den Kunden hervorrufen können. Sie sollten versuchen, Reaktionen der bevorzugten und diskriminierten Kunden zu antizipieren und etwaige Privilegien nachvollziehbar zu begründen.
  • Verdienen: Wenn Sie einem Kunden ein Privileg einräumen, sollten Sie transparent kommunizieren, warum er oder sie diesen Vorzug tatsächlich auch verdient hat.
  • Verändern: Durch die geschilderte transparente Kommunikation kann destruktiver zu motivierendem Neid umgewandelt werden. Diesen kann das Unternehmen in seinem Sinne nutzen.
  • Vertrauen: „Unechte“ Preisdifferenzierungen sollten vermieden werden. Eine verschleiernde Kommunikation ist in Zeiten gestiegener Transparenz und extrem einfacher Gruppenbildung im Internet wenig sinnvoll. Sie kostet wertvolles Vertrauen.
Empfohlene Quellen

Ackerman, D./Perner L. (2004):
Did You hear What My Friend Paid! Examining the consequences of social comparisons of Prices. In: Advances in consumer Research, Vol. 31, s. 586–592.

Feinberg, F. M./Krishna, A./Zhang, Z.J. (2002): Do We care What others get? a behaviorist approach to targeted Promotions. In: Journal of Marketing Research, Vol. 39, s. 277–291.

Grégoire, Y./Fisher, R. J. (2008): Customer betrayal and retaliation: When your best customers become your worst enemies. In: Journal of the academy of Marketing Science, Vol. 36, s. 247–261.

Bilder zum Artikel:
Autorin(nen) / Autor(en):
Promotionsstipendiatin
Zeppelin Universität, Friedrichshafen am Bodensee
Promotionsstipendiatin
Friedrichshafen am Bodensee
Lehrstuhlinhaber für Marketing
Zeppelin Universität, Friedrichshafen am Bodensee