Kundenlösungen sind ein bewegtes Ziel

Kundenlösungen sind ein bewegtes Ziel

Der Kunde wählt bei der Unterzeichnung von Verträgen oft nur Teile der späteren Lösung eines Lieferanten. Nach dem Zuschlag entwickeln sich komplexere Projekte und die Anforderungen der Kunden ändern sich. Nicht selten wird angestrebt, zusätzliche Leistungen in den ursprünglichen Projektumfang zu integrieren. Die Lieferanten versuchen ihrerseits, entstehende Leistungen zusätzlich in Rechnung zu stellen. Es gilt deshalb, Leistungspakete als dynamischen Prozess zu gestalten. Begleitet wird die Zusammenarbeit durch laufende Verhandlungen.

Folgender Fall zur Ausgangslage: Y. AG entwickelt und produziert Produkte für andere Unternehmen. Für einen Großkunden der Lebensmittelindustrie industrialisierte das Unternehmen eine komplexere Produktfamilie von Küchengeräten und erhielt den Zuschlag für die Serienfertigung. Dieser Auftrag ist bedeutend. Allerdings bringt der Kunde verschiedene, zusätzliche Ansprüche ein. Sie betreffen beispielsweise die Logistik, Produktanpassungen oder die Einrichtung eines Inbound Marketings für Anliegen der Konsumenten. Für diese Aufgaben ist Y. AG qualifiziert. Nur will der Kunde für zusätzliche Aufgaben nicht bezahlen und betrachtet sie als Bestandteil des langfristigen Produktionsauftrags. Generell sind die Anforderungen an Teilequalität, Produktionsmittel, Reaktionsgeschwindigkeit, Kundensupport und Auftragsabwicklung sehr hoch. Mit den Zusatzanforderungen des Kunden droht das attraktive Projekt für Y. AG in die Verlustzone zu gleiten.

Prozess der Zusammenarbeit

Komplexere Angebote gehen immer von Annahmen aus. Im Laufe der Zusammenarbeit ändern sich die Erkenntnisse und Anforderungen der Kunden, aber ebenso vom Lieferanten. Ein rigoroser Preisdruck in der Vergabephase vermindert spätere Spielräume. Wenn erste Projektschritte erfolgreich vollzogen wurden, entstehen neue Aufgaben, um das ganze Projekt zum Erfolg zu führen. Zwar vermuten Kunden und Anbieter, dass später etwas auf sie zukommt. Nur sind beide Parteien bedingt motiviert, die Folgeaufgaben alle einzubeziehen oder abzugrenzen. Die Verantwortlichen des Kunden befürchten, dass das Projekt intern scheitert, wenn bereits zu viele Folgen einbezogen werden. Der Lieferant will das Projekt gewinnen und stellt beispielsweise auch kritische Aspekte in einer Ausschreibung des Kunden nicht infrage. Deshalb ist es wohl auch blauäugig, für das Gesamtprojekt und den Gesamtvertrag bereits eine umfassende Transparenz zu fordern, die Leistungen klar zu spezifizieren und auch zu begrenzen.

Wenn erste Projektschritte erfolgreich vollzogen wurden, entstehen neue Aufgaben, um das ganze Projekt zum Erfolg zu führen.

Begleitet wird ein solcher Prozess durch die unterschiedliche Spannung des Lieferanten und des Kunden im Zeitablauf. Während der Verkäufer sein Ziel und Höhepunkt mit dem Kaufabschluss erreicht, setzen die hohen Ansprüche des Kunden erst nach dem Kaufentscheid richtig ein. Diese Zusammenhänge zeigte der klassische Artikel von Theodore Levitt zu After the Sale is Over (Harvard Business Review 9/1983) bereits deutlich. Deshalb schlägt die Großzügigkeit des Lieferanten in der Gewinnungsphase für ein Projekt nach dem Kauf oft um in die Abwehr oder konsequente Verrechnung von Zusatzleistungen. Nicht selten vertraut der Anbieter darauf, dass er ein gewonnenes Projekt mit Preisdruck im Laufe der Zusammenarbeit in eine weitere Zusammenarbeit verändern kann.

 

Einige Empfehlungen

Drei Empfehlungen lassen sich für Kunden und Lieferanten wie folgt zusammenfassen:

  • Projektklärung:
    Bei repetitiven Aufgaben für Kunden lässt sich eine Transparenz zur Zusammenarbeit zum Zeitpunkt des Kaufentscheides fordern. Auch lassen sich Projekte entwerfen und professionell führen. Bei komplexen Formen der Zusammenarbeit und Leistungen sind mehrere Zwischenschritte nötig, an denen das Haupt- und Nebenprojekte geklärt werden und gemeinsam diskutiert wird, was zum Leistungsumfang gehört und was nicht. Generell ist es nicht möglich, die aufgezeigten Probleme nur mit einem professionellen Projektmanagement zu lösen.
  • Kostenverlauf:
    Voraussetzungen für eine Diskussion mit Kunden ist es, die Kosten im Verlauf der Zusammenarbeit transparent zu erfassen. Auch intern diszipliniert diese Transparenz die Beteiligten. Oft kann oder will ein Lieferant auch Zusatzaufgaben nur mit externen Partnern erfüllen. So wird beispielsweise für Logistik ein entsprechender Dienstleister einbezogen. Diese Fremdkosten sind eindeutig und lassen sich auch gegenüber Kunden belegen und allenfalls leichter belasten.
  • Verhandlung:
    Die Verhandlung begleitet das Haupt- und die Zusatzprojekte. Es geht darum, die Zeitpunkte, Gegenstände und beteiligten Personen der Zwischenverhandlungen proaktiv zu gestalten und günstige Voraussetzungen für eigene Vorteile zu nutzen. Dabei spielt das dynamische Zusammenspiel zwischen Selling und Buying- Center eine wichtige Rolle. Die Beteiligten ändern sich laufend in den verschiedenen Prozessen. Falsche Gesprächspartner führen zu falschen Ergebnissen. Wichtig bleibt dabei, sich nicht auf eigene Positionen zu verfestigen, sondern im Sinne einer Mediation die gemeinsamen Interessen in den Vordergrund zu stel len. Emotional braucht es gegenseitige Akzeptanz und Anstand, ein konstruktives Klima, Fairness und Vertrauen. Das Misstrauensprinzip scheint sich zwar in der Wirtschaft mehr und mehr auszudehnen, verhindert aber Hochleistungen systematisch.
    Ergebnis der Verhandlungen sind im Kern die Leistungsbegrenzungen oder -erweiterungen sowie die Verteilung von Kosten und Erträgen zwischen Lieferanten und Kunden. Daraus ergibt sich ein dynamischer Verrechnungsprozess.
    Diese Hinweise sind noch recht generisch. Konkrete Projektverläufe prägen die konkreten Chancen und Gefahren in der Zusammenarbeit. Deshalb ist es notwendig, die spezifischen Prozesse zu gestalten.
Folgerung

Lösungen für Kunden werden in der Forschung und auch Praxis mehrheitlich statisch erfasst. Anbieter definieren ein Leistungspaket und der Kunde wählt die passenden Bausteine. Besonders für komplexere Leistungen müssen wir aber zukünftig die Dynamik der Zusammenarbeit besser durchdringen. Natürlich ist ein rigoroses Projektmanagement in einer umfangreichen Zusammenarbeit naheliegend. Aufwand und Kosten müssen geführt werden, damit sich Projekte nicht verselbstständigen. Prozessorientierte Lösungen und dynamische Verrechnung gilt es jedoch, explizit zu erfassen, um den realistischen und erfolgreichen Umgang mit dem Lösungsgeschäft zu fördern. Die Wahl eines Anbieters oder eines Kunden ist erst die Einstiegskarte, wichtiger ist, wie später die Zusammenarbeit gelebt wird.

Dynamische Leistung und Verhandlung Ein grobes Modell Die beschriebenen Prozesse lassen sich grob in folgendem Modell (Abbildung) darstellen. Die obere Hälfte der Abbildung zeigt Hauptund Nebenprojekte im Zeitablauf. Jedes dieser Projekte schließt ein:
  • Verschiedene Phasen von Initialphase, Evaluation, Konzeption bis Realisierung (dabei sind Phasen für konkrete Projekte auch spezifisch definiert)
  • Verlauf von internen und externen Kosten des Lieferanten und des Kunden
  • Verlauf des „Zusammenarbeitsklimas“
  • Unterschiedliche Beteiligte im Anbieter- und Kundenunternehmen je nach Phase
  • Mehrere Schlüsselstellen für Zwischenentscheide
  • ... .

In einem schrittweisen Prozess (untere Hälfte der Abbildung) handeln Kunde und Lieferant aus, welche Leistungen im Hauptprojekt integriert sind und was zusätzlich belastet werden kann. Dominiert das Interesse des Kunden, so verwandelt sich das Hauptprojekt des Lieferanten in ein Verlustgeschäft. Dominiert das Interesse des Anbieters, überborden die Kosten für den Kunden in seinem Hauptprojekt und den Zusatzleistungen. Beide Phänomene lassen sich beobachten. Ersteres ist durch die Machtposition der Kunden häufiger. Letzteres trifft ein, wenn ein Kunde durch die Vorentscheide abhängig wird. Die Varianten werden durch gestrichelte und ausgezogene Linie gezeigt.

Quelle: Unternehmen

Institut für Marketing der Universität St.Gallen

Mit rund 35 Mitarbeitenden erforscht das Institut für Marketing der Universität St.Gallen in den Kompetenzzentren die Themen B-to-B-Marketing und Hightech-Marketing, Verkaufsmanagement, Dialogmarketing, Messen, Multichannel-Management und kooperatives Marketing sowie Marketingperformance (www.ifm.unisg.ch). Aktuelle Entwicklungsprogramme mit Unternehmen sind Best Practice in Marketing, reales Kundenverhalten – reales Marketing, Sales driven Company und Customer Centricity.

Generellere Themen sind Marketinginnovation, Trends/Kundeninformation/Kundenverhalten, Markenführung, Internationales Marketing, Solutions- und Volumengeschäft, Kundenmanagement sowie Marketingführung und -organisation.

Ziel des Instituts ist es, die eigene Forschung und Entwicklung mit führenden Unternehmen und Führungskräften zu verbinden. In allen Bereichen wird der Transfer zudem durch betriebsübergreifende und interne Weiterbildungen sowie die „Marketing Review St. Gallen“ (Gabler Verlag) gefördert.

Im Institutsleiterteam wirken mit: Prof. Dr. Christian Belz (Geschäftsführer), Prof. Dr. Sven Reinecke, Prof. Dr. Marcus Schögel, Dr. Michael Betz, Dr. Michael Reinhold und Prof. Dr. Christian Schmitz.

Flankiert werden diese Aktivitäten durch mehrere weitere Institute im Marketingdepartment der Universität St.Gallen. Spezialisten befassen sich in den Instituten für Versicherungswirtschaft, für öffentliche Dienstleistungen und Tourismus und für Banken, für Wirtschaft und Ökologie sowie den Forschungsstellen für Customer Insight und Internationales Handelsmanagement mit Marketing.

Autorin(nen) / Autor(en):
Ordinarius für Marketing des Instituts für Marketing an der Universität St. Gallen
Universität St. Gallen