Höhere MarkenMatik

Höhere MarkenMatik

Zu viele Marken unter einem Dach werden in Krisenzeiten leicht zur Stolperfalle. Ein neues Analyse-Tool von McKinsey hilft, Portfolios anzupassen und Marken auch im schwierigen Umfeld sicher und kosteneffizient zu positionieren. Sein Name: BrandMatics Advanced.

Bis vor wenigen Jahren waren 1000 und mehr Marken unter einem Dach keine Seltenheit in der Konsumgüterindustrie. Doch die fetten Jahre sind vorbei. Sinkende Umsätze und schrumpfende Etats zwingen Unternehmen zur grundlegenden Überarbeitung ihrer Markenportfolios. Führende Konsumgüterhersteller wie Procter & Gamble, Henkel oder Unilever reduzieren die Anzahl ihrer Marken drastisch. Unilever – einst 1500 Marken schwer – verschlankte sein Programm gar um mehr als zwei Drittel auf nur noch 400 Kernmarken.
Die Krise setzt Markenmanager unter Druck. Da Märkte für gewöhnlich schneller reagieren als Unternehmen, laufen viele Portfolios momentan Gefahr, in Schieflage zu geraten: Wird der gegenwärtige Markenmix den sich verändernden Konsumbedürfnissen noch gerecht? Sind die einzelnen Marken trennscharf positioniert und erreichen sie die gewünschten Zielgruppen? Und die wichtigste Frage: Werfen sie genug Rendite ab?
Repositionieren oder eliminieren? Diese Frage stellt sich immer öfter. In Zeiten klammer Kassen können es sich viele Unternehmen nicht mehr leisten, eine Vielzahl von Marken zu alimentieren. Einst erfolgreiche Marken werden mehr und mehr zu „Grenzmarken“, müssen neu verortet oder ganz ausgemustert werden. Die Entscheidung, eine Marke sterben zu lassen, ist hart, aber oft unausweichlich. Wird an schwachen Marken festgehalten, fehlen die dort eingesetzten Ressourcen an anderen, strategisch wichtigeren Markenbaustellen – und darunter leidet die Performance des gesamten Portfolios.

Mehr Umsatz mit weniger Marken

Man sollte meinen, es sei leichter, 20 Marken zu managen als 200. Doch das Gegenteil ist der Fall. Denn je kleiner das Portfolio, desto höher der Wertbeitrag jeder einzelnen Marke für das Unternehmen. Fehlpositionierungen im Kundensegment oder Markenüberschneidungen innerhalb des Portfolios fallen dann ungleich stärker ins Gewicht und drücken empfindlich auf die Umsatzbilanz.
Die Kunst effektiver Portfoliosteuerung besteht darin, die einzelnen Marken so zu positionieren, dass sie maximale Wertschöpfung bringen. Das ist leichter gesagt als getan. Mit dem Management ihrer Markenfamilien haben selbst unternehmerische Flaggschiffe Probleme: 60 Prozent der im Fortune-100-Ranking gelisteten Unternehmen zeigen erheblichen Nachholbedarf bei der Optimierung ihrer Markenportfolios.
Wann ist ein Markenmix optimal gestaltet? Wie viele Marken unter einem Dach bringen an welcher Stelle den höchsten Ertrag? Zur Beantwortung dieser Schlüsselfragen hat McKinsey ein neues Analysewerkzeug entwickelt: BrandMatics Advanced ist ein ganzheitlicher Ansatz zur Portfoliosteuerung. Mit seiner Hilfe können Marken konsolidiert und umpositioniert, neue Marken eingeführt und bestehende in ihrem Profil geschärft werden.
Die Restrukturierung eines Portfolios verläuft bei BrandMatics Advanced in drei Phasen: Definition, Design, Umsetzung. Die Definitionsphase widmet sich der Analyse wichtiger Kundensegmente und der Frage, wie erfolgreich die bestehenden Marken diese Segmente bedienen. In der Designphase erhält die Marke ihre Identität, werden ihre rationalen und emotionalen Attribute bestimmt. Auf das Design folgt schließlich die Umsetzung: In dieser letzten Phase geht es darum, die Marke an den Kundenkontaktpunkten erlebbar zu machen und ihr Wertversprechen einzulösen.

Definition: der erste von drei Schritten zur Optimierung

Die zunehmende Fragmentierung des Kundenverhaltens ist derzeit eine der größten Herausforderungen für die Markenführung. Die Kunden sind heute besser informiert und schneller bereit zum Wechsel, ihre Interessen spezifischer – nicht selten gehören sie mehreren, vermeintlich gegensätzlichen Kundensegmenten zugleich an: Porsche-Fahrer kaufen bei Aldi, Urlauber buchen Luxushotels in europäischen Hauptstädten, fliegen aber mit Ryanair dorthin. Markenartikler müssen sich also fragen: Entspricht mein Portfolio noch den aktuellen Kundenbedürfnissen? Eine fundierte Analyse schafft hier Klarheit. Auf der Definitionsphase liegt daher der Schwerpunkt von BrandMatics Advanced: In einer Situationsanalyse werden zunächst die Stärken und Schwächen der einzelnen Marken in ihrer derzeitigen Positionierung offengelegt. Mithilfe von Positionierungsszenarien werden dann Optionen zur Portfolio- Optimierung ausgelotet, die im letzten Schritt auf ihre Effekte hin ökonomisch zu bewerten sind.

Stärken und Schwächen ermitteln

Die einfachste Art, Positionierungsschwächen einzelner Marken in einem Portfolio aufzuzeigen, ist die Analyse im mehrdimensionalen Markenraum. Dieser Raum wird mithilfe sogenannter Markentreiber aufgespannt. Ein solcher Treiber kann ein modisches Image sein, ein guter Service oder auch Exklusivität (siehe Abb. rechts).
Die Stärke einer Marke in Bezug auf einen bestimmten Treiber lässt sich ablesen, indem man ein Lot vom Vektor des Treibers auf die Position der Marke fällt: Je weiter außen im Kreis das Lot aufsetzt, desto stärker ist die Marke in dieser Dimension. So verfügt etwa Marke A aus der Beispielgrafi k über ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis, aber einen vergleichsweise schwachen Service in der Kundenwahrnehmung. Man könnte sagen, die Marke hat einen „Spike“ bei Preis-Leistungs-Verhältnis.
Sind alle Marken im Markenraum eingezeichnet, werden Lücken oder Dopplungen im Portfolio auf einen Blick sichtbar. Besetzen alle Portfoliomarken tatsächlich unterschiedliche Positionierungen, und zwar aus Kundensicht? Gibt es relevante Positionierungsoptionen, die weder von einer eigenen Portfoliomarke noch vom Wettbewerb abgedeckt werden?

Neupositionierungen durchspielen

Im zweiten Schritt geht es darum, verschiedene Positionierungsszenarien zu entwerfen, wobei alle Optionen der Markenführung einzubeziehen sind: Lassen sich einzelne Marken repositionieren? Sollten andere zurückgezogen oder zusammengelegt werden? Lassen sich mit einer neuen Marke bestimmte Kundensegmente besser bedienen?
Bei der Antwort auf diese Fragen hilft wiederum der Markenraum: Ist eine neue Marke geplant oder soll eine bestehende Marke verändert werden, wird die entsprechende Position im Markenraum eingetragen. Anschließend gilt es, das individuelle Stärken-Schwächen- Profi l der Marke in ihrer neuen Positionierung zu ermitteln.

Effekte bewerten

Im dritten Schritt der Defi nitionsphase untersucht der Anbieter die Effekte der durchgespielten Szenarien. Ein Effekt betrifft zunächst die Marke selbst: Jede Veränderung des Stärken-Schwächen-Profi ls verändert unweigerlich die Attraktivität der Marke für ein Kundensegment. In einem modellierten Kaufprozess lässt sich ermitteln, wie viele Kunden eines Segments die „neue“ Marke kaufen würden. Ein weiterer Effekt besteht in den Rückwirkungen des neuen Markenprofi ls auf andere Marken im relevanten Umfeld. Steigert oder senkt die Umpositionierung einer Marke die Kannibalisierung bezüglich einer anderen Portfoliomarke? Am Ende dieses Analyseteils gewinnt der Anbieter für jedes Szenario Erkenntnisse zu möglichen Wanderbewegungen innerhalb des eigenen Portfolios sowie zwischen den eigenen und den Wettbewerbsmarken.
Abschließend gilt es, die Markeneffekte in ökonomische Größen zu überführen. Hier werden die Gewinne und Kosten einer Markenveränderung einander gegenübergestellt. Bei den Gewinnen ist zu unterscheiden, ob die Kunden innerhalb des eigenen Portfolios wandern (Kannibalisierung) oder von Wettbewerbsmarken hinüberwechseln (Partizipationseffekte). Auf der Kostenseite sind Effekte wie Marketingausgaben für die Veränderungen des Markenimage zu berücksichtigen. Die Quantifi zierung erlaubt es dem Anbieter nun, das ökonomisch attraktivste Szenario zu wählen und zu entscheiden, welche Marken wegfallen können und welche zu stärken oder anders zu platzieren sind (Abbildung unten).

Design: Marken zum Leben erwecken

Stehen die neuen Positionierungen im Portfolio fest, gilt es, den Einzelmarken Leben einzuhauchen: In der Designphase erhält jede Marke ihr eigenes, unverwechselbares Profi l. Ihre rationalen und emotionalen Attribute bilden den sogenannten Markenkern, der letztlich die Konsumenten zum Kauf animiert.
Die rationalen Kaufargumente lassen sich zum einen über die Markentreiber in der Positionsanalyse defi nieren, zum anderen über ein Wertversprechen, das die Vorteile der Marke gegenüber Wettbewerbsprodukten klar formuliert. Die emotionalen Attribute wiederum – das, was der Käufer auf der Gefühlsebene mit der Marke verbindet – können über moderne Marktforschungstechniken wie Markenpartys ermittelt werden: Dort erhalten die Probanden zum Beispiel die Aufgabe, eine imaginäre Motto-Party unter dem Markennamen auszurichten. So lassen sich Erkenntnisse über Lebenswelten und Käufertypen gewinnen, die mit der Marke assoziiert werden.

Markenversprechen im Kundenkontakt umsetzen

Die Kunden und ihre Konsumpräferenzen stehen im Mittelpunkt jedes Analyseschritts von BrandMatics Advanced. So geht es auch in der Umsetzungsphase folgerichtig darum, das Markenversprechen an allen Kundenkontaktpunkten konsequent umzusetzen. Wie wirken Maßnahmen wie Serviceverbesserungen oder Garantieverlängerungen auf den Markenerfolg? Solche Fragen lassen sich hier quantitativ beantworten.
Bei einer Marke beispielsweise, deren Haupttreiber guter Service ist, zeigt die Umsetzungsanalyse, dass eine Garantieverlängerung von sechs Monaten auf ein Jahr die Kundenzufriedenheit um 20 Prozent steigert, während eine Verlängerung von drei auf fünf Jahre nur noch neun Prozent Zuwachs bringt. Mithilfe solcher Berechnungen an allen Kontaktpunkten im Kaufprozess können Unternehmen genau ermitteln, mit welchen Kundenmaßnahmen sie eine maximale Wertschöpfung ihrer Marken erzielen.

18 Prozent mehr Profitabilität

Ein strategisch ausgerichtetes und systematisch durchgeführtes Markenportfoliomanagement steigert die Profitabilität um 18 Prozent, das ergab jüngst eine Studie der Universität Mainz. Bei Marktanteilen, Kundenzufriedenheit und Neukundengewinnung können versierte Markenmanager gegenüber dem Wettbewerb sogar einen Vorsprung von bis zu 60 Prozent herausholen.
Was eine präzise Markenpositionierung gerade in hart umkämpften Märkten bringt, zeigt das Beispiel Kellogg’s. Das Cerealienangebot umfasst allein in den USA mehr als 200 Einzelmarken. Mit hoch individualisierten Produkten wie „Special K“ für gesundheitsorientierte junge Frauen schaffte es das Unternehmen, sich vom Wettbewerb spürbar abzuheben – und ökonomisch zu profitieren: Sein differenziertes Portfoliomanagement verhalf Kellogg’s 2007 zu einem 30-prozentigen Marktanteil bei einer Marge von 44 Prozent.
Mit einem einmaligen Umbau ist es allerdings nicht getan. Portfolios müssen permanent den Marktgegebenheiten angepasst werden. Ein tragfähiges Mehrmarkenmanagement erfordert daher Konsequenz und Durchhaltevermögen. Doch der Aufwand macht sich bezahlt. Der Lohn ist ein gut ausbalanciertes und kundennah gestaltetes Markenportfolio, das immer wertschöpfend ist – in guten Jahren ebenso wie in den weniger guten.

Autorin(nen) / Autor(en):
Partner; Leiter
Marketing & Sales Practice; McKinsey & Company