Erfolgreiches Spiel mit Sicherheit

Erfolgreiches Spiel mit Sicherheit

Unsere Welt ist vielfältig, dynamisch und unsicher. Der Wunsch nach Orientierung und Sicherheit ist deshalb riesig. Klare Lösungen zu komplexen Problemen sind gefragt, selbst wenn sie sich nicht geben lassen.

Diesen Wunsch erfüllen erfolgreich manche Berater, Autoren, Dozenten und Führungskräfte. Wer sich jedoch auf Scheinsicherheiten verlässt, der lebt gefährlich.

Berater

Erfolgreiche Berater wissen, wie sie Gremien überzeugen. Sie wählen eine klare Hypothese für ihren Vorschlag. Ihr Ergebnis sind überzeugende und umfangreiche Sammlungen von Char ts. Typisch die verbreitete „Differenzdarstellung“ für Umsatz und Profit, bezogen auf eine gewählte Zeitspanne. Da werden Schwierigkeiten (etwa der zunehmende Preisdruck oder die neuen Wettbewerber) in negativen Balken und Fortschritte mit neuen Segmenten, Produkten oder mehr Vertriebseffizienz mit positiven Balken dargestellt.

Sicherheit ist positiv, falls sie nicht unbegründet ist.

Es folgt am Schluss der Zeitperiode ein angestrebtes Ergebnis. Solche Charts sind erwünscht und klar. Die Unsicherheiten werden aber meist mit groben Schätzungen überbrückt. Die Sicherheit erkaufen sich Unternehmen oft teuer. Beratungsprojekte in Konzernen im Umfang von einer halben Million Euro sind recht häufig. Sicherheit ist hier gepaart mit dem Wunsch nach Delegation. Delegation entlastet die beanspruchten Führungskräfte und verlagert Verantwortung; aber auch das oft nur scheinbar.

Dozenten

Auch Lernende an Universitäten, Fachhochschulen oder Seminaren suchen Sicherheit. Sie benoten Dozenten gut, die klare Antworten liefern. Dazu sind zwei Ansätze ergiebig:
Erstens können sich Dozierende auf Systematiken, Prozess-Schritte und Methoden konzentrieren. In der Regel sind sie nicht falsch, höchstens nicht angemessen. Sie verlagern die Diskussion vom Inhalt auf die Hülse. Sie verdecken, dass Werkzeuge in Management und Marketing nur etwa zehn Prozent zum Erfolg beitragen, während inhaltliche Interpretationen und Entscheide für 90 Prozent stehen. Sie geben den Lernenden das trügerische Gefühl mit SWOT-Analysen und Nutzwert-Schemen alles im Griff zu haben. Folge sind umtriebige Scheinarbeit, analytische Zersplitterung, Scheinprofessionalität und demgemäß differenzierte Konzepte ohne Substanz und Innovation.
Zweitens können Dozierende (ähnlich wie die erwähnten Berater) die klaren Lösungen einfach behaupten. Oft tun sie das gestützt auf begrenzte Erfahrungen in ganz anderen Konstellationen als jene, die gerade zur Diskussion steht.
„Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht. Zuerst zur schlechten: Ich weiß nichts über dieses Thema, über das ich sprechen soll. Dann die gute: Keiner weiß mehr als ich.“ So die flapsige Einführung, die für jede Thematik passen kann. Was vorerst belustigt, kann sich in der Folge fatal auswirken.

Autoren

Die Autoren sind bereits durch die Hinweise zu den Dozenten einbezogen. Gesprochenes und geschriebenes Wort wirken ähnlich.
Jeder Autor möchte einmal einen Bestseller landen. Die Sicherheit der Leser ist dabei eine wichtige Grundlage für den Erfolg. Ingredienzen sind die Bestätigung der Leser (nur mit leichten Erneuerungen) und Einfachheit. Grundsätzlich sollte der Leser die Aussage des Buches verstehen und mitreden können, auch wenn er nur den Buchdeckel studiert hat. Zudem darf die Zustimmung des Lesers nicht gleich Arbeit nach sich ziehen.

Führungskräfte

Wissensarbeiter tragen die Konsequenzen ihrer Vorschläge meistens nicht selbst. Misserfolge sind auch schwierig mit ihren Hinweisen zu verknüpfen. Diese Narrenfreiheit genießen Führungskräfte spätestens dann nicht mehr, wenn schlechte Ergebnisse ihrer Konzepte offensichtlich werden. Nicht selten ergeben sich dann besonders auf Ebene des Top-Managements fulminante Führungswechsel.

Mit Sicherheit zu spielen, ist besonders erfolgreich.

Führungskräfte sind oft zu optimistisch und sie gewinnen leicht die Zustimmung der vorgesetzten Gremien und der Mitarbeitenden. Die Anträge und Lösungen sind nicht falsch und folgen oft breit akzeptierten Begründungen. Wer möchte sich nicht Visionären anschließen, die große Lösungen und Initiativen vorschlagen und selbst verantworten? Große Strategiewechsel, die Erschließung neuer Länder (besonders in asiatischen Ländern), neue Produkte oder Übernahmen gehören zu den attraktiven Feldern für solche Entscheide. Bedenkenträger, die ihre Vorbehalte nur vage formulieren können, sind im Prozess der Entscheidung oft rasch weg gewischt. Geschickte Strategen geben dabei den Gremien das Gefühl, dass sie auch alle Risiken und kritischen Bereiche fest im Griff haben. Wird die Zeit bis zum Break-even laufend in die Zukunft verschoben, finden sich schrittweise neue Erklärungen und schließlich fühlen sich die früheren Mitentscheider mitschuldig.

 

Einfachheit und Konzentration

Sicherheit lässt sich von den Verantwortlichen selbstverständlich auch mit guten Fähigkeiten fördern. Gemeint sind damit die Fähigkeiten zu vereinfachen, den Spreu vom Weizen zu trennen, auszuwählen, wesentliche Entwicklungen zu verdichten und Schwerpunkte für Lösungen zu setzen. Manchmal ist es auch wichtiger, eine Lösung zu wählen und konsequent zu verfolgen. Oft gibt es ja verschiedene gute Möglichkeiten.

Folgerungen

Einige übergreifende Folgerungen sind:

  • Leben Sie mit Unsicherheit, sie ist erstens normal und wirkt zweitens produktiv. Überzeugen Sie andere nicht mit Scheinsicherheit. Führungskräfte brauchen die Lizenz zum Zweifel (wie Ludwig Hasler einmal formulierte). Diese Unsicherheit muss in Unternehmen auch zugelassen werden.
  • Arbeiten Sie mit Spannungsfeldern zwischen zentral und dezentral, global und lokal, kurz- und langfristig, starker Führung und Unternehmertum. Die Liste lässt sich leicht erweitern. Eindeutige Lösungen sind meistens falsch. Prüfen Sie bei Lösungen, ob auch das Gegenteil möglich wäre.
  • Äußern Sie Bedenken oder Ihr mulmiges Gefühl bei Anträgen.
  • Scheuen Sie sich nicht vor Gründlichkeit.
  • Misstrauen Sie plausiblen Erklärungen und vorausgesagten Ergebnissen.
  • Verlagern Sie Ihr Augenmerk nicht nur auf Formales oder die Methodik.
  • Gehen Sie produktiv mit Unsicherheit um und vereinfachen Sie, was möglich ist.

Sicherheit ist positiv, falls sie nicht unbegründet ist. Mit Sicherheit zu spielen, ist besonders erfolgreich. Es fällt deshalb schwer, dieses Spiel zu zügeln. Scheinsicherheiten trügen, dabei spielt keine Rolle, ob Absichten oder Blauäugigkeit dahinter stehen.
Natürlich sind Schlüsse für Berater, Autoren, Dozenten und Führungskräfte verschieden. Es lassen sich auch noch Politiker erwähnen. Die Grundformel lautet: Lob der Unsicherheit.

Institut für Marketing der Universität St. Gallen

Mit rund 35 Mitarbeitenden erforscht das Institut für Marketing der Universität St.Gallen in den Kompetenzzentren die Themen B-to-B-Marketing und Hightech-Marketing, Verkaufsmanagement, Dialogmarketing, Messen, Multichannel-Management und kooperatives Marketing sowie Marketingperformance (www.ifm.unisg.ch). Aktuelle Entwicklungsprogramme mit Unternehmen sind Best Practice in Marketing, reales Kundenverhalten – reales Marketing, Sales driven Company und Customer Centricity.

Generellere Themen sind Marketinginnovation, Trends/Kundeninformation/Kundenverhalten, Markenführung, Internationales Marketing, Solutions- und Volumengeschäft, Kundenmanagement sowie Marketingführung und -organisation.

Ziel des Instituts ist es, die eigene Forschung und Entwicklung mit führenden Unternehmen und Führungskräften zu verbinden. In allen Bereichen wird der Transfer zudem durch betriebsübergreifende und interne Weiterbildungen sowie die „Marketing Review St. Gallen“ (Gabler Verlag) gefördert.

Im Institutsleiterteam wirken mit: Prof. Dr. Christian Belz (Geschäftsführer), Prof. Dr. Sven Reinecke,

Prof. Dr. Marcus Schögel, Dr. Michael Betz, Dr. Michael Reinhold und Prof. Dr. Christian Schmitz.

Flankiert werden diese Aktivitäten durch mehrere weitere Institute im Marketingdepartment der Universität St.Gallen. Spezialisten befassen sich in den Instituten für Versicherungswirtschaft, für öffentliche Dienstleistungen und Tourismus und für Banken, für Wirtschaft und Ökologie sowie den Forschungsstellen für Customer Insight und Internationales Handelsmanagement mit Marketing.
Autorin(nen) / Autor(en):
Ordinarius für Marketing des Instituts für Marketing an der Universität St. Gallen
Universität St. Gallen