Customer Co-Creation - Wie Konsumgüterunternehmen ihre Kunden bei Produktinnovationen mithilfe von Social Media miteinbeziehen können

Customer Co-Creation - Wie Konsumgüterunternehmen ihre Kunden bei Produktinnovationen mithilfe von Social Media miteinbeziehen können

Ein Kunde hatte die Idee zur Hafer & Bananen-Variante („Äffle & Pferdle“) bei Ritter-Sport. Das Modeunternehmen Threadless verkauft bedruckte T-Shirts, die von Hobbykünstlern online designt werden. Starbucks fragt auf seiner Plattform www.mystarbucksidea.com: „What's your Starbucks idea? Revolutionary or simple – We want to hear it.“ Unternehmen entwickeln nicht mehr nur intern Produkte – sondern beziehen ihre Kunden mit ein.

Was ist Customer Co- Creation? Unter Customer Co-Creation versteht man die aktive Einbeziehung des Kunden in den Prozess der Produktentstehung. Der Kunde wird damit zum „Prosumer“ – einer Mischung aus „Consumer“ und „Producer“. Dabei handelt es sich um einen Kunden, der nicht nur das Endprodukt konsumiert, sondern auch an der Erstellung beteiligt ist. Obwohl Alvin Toffler den Begriff des „Prosumers“ schon in den 80er-Jahren geprägt hat, wurde das Konzept der Co-Creation erst nach der Jahrtausendwende populär. Dies war vor allem dem Artikel Co-creating unique value with customers von C.K. Prahalad und Venkat Ramaswamy geschuldet, der 2004 in der Zeitschrift Strategy and Leadership erschien.
Das Konzept traf den Nerv der Zeit, denn es setzte an einem Kernproblem für Markenhersteller an: dem immer größer werdenden Innovationsdruck. Unternehmen sehen sich damit konfrontiert, dass Innovationszyklen immer kürzer werden und sich die Differenzierung vom Wettbewerber immer schwieriger gestaltet. Neben diesen Herausforderungen eröffneten Foren und Social Media im Web 2.0 aber auch erhebliche neue Möglichkeiten. Interaktive und kollaborative Elemente gestatten erstmals eine beidseitige Kommunikation zwischen Unternehmen und Kunden. Der Kunde wird damit vom passiven Konsumenten zum aktiven Teilnehmer. Und diese neue Rolle ermöglicht, an der Gestaltung von Neuproduktinnovationen teilzuhaben. Findet Customer Co-Creation im Internet statt, wird es auch Crowdsourcing genannt. Dies beschreibt aber eigentlich ein breiteres Phänomen, nämlich die Auslagerung traditionell interner Prozesse an Internet-User. Im Falle der Customer Co-Creation wird nur ein Teilprozess extern vergeben, nämlich die Produktinnovation.

Und was ist der Nutzen für das Unternehmen?

Innovationen sind unabdingbar für nachhaltiges Wachstum. Doch Innovationen scheitern häufig: Bei Fast Moving Consumer Goods (FMCG) sind 70 Prozent aller neu eingeführten Produkte nach zwölf Monaten nicht mehr in den Regalen des Handels zu finden. Ein Grund für die mangelnde Kundenakzeptanz ist, dass die Produkte nicht gezielt für die Bedürfnisse der Kunden entwickelt werden. Customer Co-Creation setzt genau da an. Eine frühe Kundeneinbindung stellt sicher, dass Kundenbedürfnisse in einer frühen Entwicklungsphase identifiziert werden und der Produktnutzen daran ausgerichtet wird.
Ein weiterer Vorteil ist, dass dem Unternehmen durch die Einbeziehung des Kunden wertvolles Kunden-Knowhow zur Verfügung steht. Und nicht zuletzt ist Customer Co-Creation aufmerksamkeitsstark. Neuproduktideen, die Kunden entwickeln, können in Online-Foren von anderen Nutzern bewertet werden und generieren oft kostenlose Publicity in Online- oder Printmedien.

Was ist der Nutzen für den Kunden?

Der Kunde als Co-Creator fühlt sich vom Unternehmen ernstgenommen und seine Einfälle haben Gewicht. Die Interaktion mit dem Unternehmen hat zudem zur Folge, dass der Kunde neben dem reinen Produktkonsum zusätzlich einen Erlebniskonsum genießt. Dieses Interaktionserlebnis stellt für den Kunden einen eigenen Wert dar und ist zugleich die Motivation zur Beteiligung. Daher wird in diesem Zusammenhang auch häufig von „Value Co-Creation“ gesprochen.

Was muss man für eine erfolgreiche Customer Co-Creation beachten?

Customer Co-Creation ist komplex und betrifft nicht nur das Marketing. Da es Teil des Produktinnovationsprozesses ist, erfordert es auch die Einbeziehung anderer Funktionen wie Design, F&E und Produktion. Die Ganzheitlichkeit des Konzepts wird beim Fünf-Säulen-Konzept von Kumkum Bharti, Rajat Agrawal und Vinay Sharma deutlich, das 2015 im International Journal of Market Research veröffentlicht wurde. Customer Co-Creation besteht demnach aus fünf Bestandteilen, die das Unternehmen für eine erfolgreiche Customer Co-Creation berücksichtigen und managen muss (siehe Grafik):

1. Interactive Environment
Zur Prozessumgebung gehören alle Akteure, die in den Co-Creation-Prozess involviert sind. Aufgabe dieser Prozessumgebung ist es, Vorgänge zwischen Unternehmen und Kunden zu erleichtern. Dies beinhaltet die Interaktion selbst, den Austausch von Nutzen und Leistung, das Teilen von Informationen, die Kommunikation und den Dialog.

2. Resources
Ressourcen sind entweder physischer Art wie Technologien oder immateriell wie Beziehungen, Fähigkeiten, Netzwerke und Communities. Diese sind notwendig, um die Prozessumgebung zu gestalten.

Innovationen sind unabdingbar für nachhaltiges Wachstum.

3. Co-Production
Die Säule der Co-Produktion beleuchtet die Entwicklung von neuen Produkten und ihre Voraussetzungen. Sie beinhaltet u.a. die Partizipation des Kunden, die Intensität der Einbeziehung der Kunden, die Partnerschaft und das Engagement.

4. Perceived Benefits
Die wahrgenommenen Vorteile stellen wichtige Motivationsfaktoren für die Partizipation der Kunden und für die Implementierung der Co-Strategie dar. Erlebnisse, der Lernprozess des Kunden und die Problemlösung im Co-Creation-Prozess spielen hier eine Rolle.

5. Management Structure
In einem Unternehmen müssen bestimmte Strukturen vorherrschen, dass Co-Creation überhaupt möglich ist. Dies schließt die Herangehensweise des Top-Managements, dessen Werte, Führungsstil und die organisatorische Agilität des Unternehmens mit ein.

Customer Co-Creation ist daher mehr als nur Teil des Markenmanagements und der Markenkommunikation, nämlich ein ganzheitlicher Prozess, der verschiedene Unternehmensbereiche beeinflusst und bestehende Organisations- und Führungsparameter infrage stellt.

Wie sieht nun Consumer Co-Creation im Zeitalter von Social Media aus?

Unternehmen können bei der Ausgestaltung von Consumer Co-Creation bestimmen, bis zu welchem Maß sie den Kunden miteinbeziehen möchten (siehe Grafik). Drei verschiedene Stufen – je nach Maß der Kundeneinbindung und des Innovationsgrads der Co-Creation-Idee – sind in der Praxis beobachtbar:

Stufe 1: (Temporäre) Produktvariation

Customer Co-Creation wird hier als Mittel verstanden, um Ideen für Varianten bestehender Produkte zu identifizieren. Kunden geben meist auf der Internet- oder Facebook-Seite des Herstellers ihre Ideen ab und andere Online-Nutzer können über die besten Ideen in einem Voting abstimmen. Wichtiges Ziel ist es zudem, die Aufmerksamkeit der Kunden zu steigern und kostenlose Publicity zu bekommen.

Beispiel für Stufe 1: Ritter Sport Sonderedition „Hafer & Banane“
Das 1912 gegründete Familienunternehmen Ritter setzt bei seiner Produktpolitik auf eine quadratische 100g-Packung Schokolade mit hohem Wiedererkennungswert. Die Tafel gibt es in einer Vielzahl unterschiedlicher Geschmackssorten, die durch verschiedene Verpackungsfarben gekennzeichnet werden. Über die Webseite www.ritter-sport.de/sortenkreation betreibt das Unternehmen seit 2011 Crowdsourcing-Aktivitäten. Kunden können hier eigene Sorten in drei Schritten kreieren: (1) Auswahl der Basisschokolade, (2) Zugabe von Zutaten und (3) Gestaltung der Packung.

Ein wichtiges Ziel ist es, die Aufmerksamkeit der Kunden zu steigern und kostenlose Publicity zu bekommen.

Im Frühjahr 2016 brachte das Unternehmen die Sorte „Hafer & Banane“ als „Äffle & Pferdle“-Edition heraus. Die Idee eines Kunden wurde über die Plattform eingereicht und ist bis heute, gemessen an den Likes der anderen Online-Nutzer, die Idee mit der höchsten Zustimmung – mit insgesamt über 180 000 Likes. Die Tafel wurde als Sonderedition für begrenzte Zeit online und über die Läden in Berlin und Waldenbuch (Firmensitz) verkauft. Die Popularität der Aktion war hoch und zahlreiche Print- und Online-Medien berichteten darüber.

Stufe 2: Inkrementelle Produktverbesserung

Wie bei Stufe 1 steht auch hier die Ideenfindung durch den Kunden im Vordergrund. Allerdings ist diese nicht nur auf die Findung einer neuen Variante oder eines neuen Produkts beschränkt, sondern sie kann jeglichen Bereich des Unternehmens betreffen. Dem Kunden werden keinerlei Vorgaben gemacht, wie eine Neuidee auszusehen hat. Alle eingereichten Vorschläge – von Verbesserungen bis hin zu Innovationen – werden aufgenommen. Eine Auswahl aus den meist sehr zahlreichen Vorschlägen erfolgt in der Regel durch das Unternehmen selbst und nicht über ein Online-Voting.

Beispiel für Stufe 2: Starbucks „MyStarbucksIdea
Das in Seattle, USA, gegründete Unternehmen Starbucks betreibt 24 000 Coffeeshops in über 70 Ländern. Starbucks versteht sich als Ort, an dem nicht nur qualitativ hochwertiger Kaffee angeboten wird, sondern das Kundenerlebnis im Vordergrund steht (Kaffeeduft, Wohnzimmeratmosphäre, personalisierter Service, etc.). Seit 2008 betreibt Starbucks unter www. mystarbucksidea.com eine Onlineplattform, auf der Kunden ihre Ideen zu Produkt- oder Serviceneuheiten einreichen können. Seit Bestehen der Plattform wurden über 190 000 Ideen eingereicht, von denen mehr als 300 von Starbucks umgesetzt wurden. Diese beinhalten unter anderem:

Idea #1: Die Einführung eines „Splash Sticks“, mit dem die Öffnung eines To-go Kaffeebecher-Deckels verschlossen werden kann, damit kein Kaffee auf die Kleidung schwappt.

 
 

Idee #3: Die Etablierung von Wifi in über 7000 US-amerikanischen Stores (kostenlos und mit einem Click zugänglich).

 
 

Idea #128: Die Einführung von Cake- Pops – kleinen runden Kuchenhäppchen auf einem Stick, von denen mittlerweile über fünf Millionen pro Jahr verkauft werden.

 
 

Idea #202: Die Einführung von Mobile Payment in den USA, sodass Kunden im Drive-Through schnell und bequem mit dem Handy bezahlen können.

 
 

Stufe 3: Umfassende Produktentwicklung

Customer Co-Creation wird als integrierter und zentraler Bestandteil des Produktinnovationsprozesses verstanden. Kunden werden in alle wesentliche Prozessschritte miteinbezogen. Dies schließt auch mit ein, dass vormalig als „rein intern“ klassifiziertes Know-how offengelegt und mit den Kunden geteilt wird. Der Zeitaufwand einzelner Kunden kann sehr hoch und unter Umständen ein signifikanter Zeitaufwand über einen längeren Zeitraum sein.

Beispiel für Stufe 3: Fiat Mio
Fiat ist für die Entwicklung des Elektroautos Fiat Mio völlig neue Wege gegangen. Normalerweise wird ein neues Auto unter strengster Geheimhaltung entwickelt. Beim Mio war genau das Gegenteil der Fall. Mehr als 11 000 Vorschläge von Kunden aus 160 Ländern wurden in allen Phasen der Produktentstehung berücksichtigt. Täglich wurden die eingegangenen Vorschläge von Fiat-Designern bewertet und, sobald sie sich zu Lösungen verdichteten, als Kurzvideos ins Internet gestellt. Zusätzlich übertrugen Kameras die Arbeit der Entwickler vor Ort live ins Netz. Die internationale Presse sprach vom „first crowdsourced car“. Sogar das Logo des Autos – ein lächelndes Gesicht im Strichmännchenstil – beruht auf dem Designentwurf eines Kunden. Für die Zukunft plant Fiat, Teams aus besonders einfallsreichen Kunden und Fiat-Designern zusammenzustellen, die gemeinsam neue Modelle entwickeln. Die drei Fallbeispiele zeigen, dass Consumer Co-Creation eine Win- Win-Situation für Kunden und Unternehmen sein kann. Kunden können selber kreativ werden und Einfluss auf Produkte nehmen, die später auf den Markt kommen. Unternehmen können bedürfnisorientierte Produkte auf den Markt bringen, die eine geringere Floprate haben. Und nebenbei sichert das Endprodukt kostenlose PR und stärkt somit die Marke.

Ich hatte mich darüber geärgert, das Stempeln von Blümchen zur Crowdsourcing- Aktion zu erheben. Peter Breuer, Werbetexter und Erfinder der Ulk-Idee Pril mit „Hähnchengeschmack“

Doch Co-Creation kann für das Unternehmen auch schnell zum Albtraum werden. Fühlen sich Kunden nicht ernst genommen oder manipuliert, können Einzelne eine solche Aktion erheblich stören. Ein Beispiel dafür ist der Düsseldorfer Konsumgüterhersteller Henkel. Das Unternehmen startete 2011 einen Designwettbewerb für ein neues Etikett für das Spülmittel Pril. Über 33 000 Konsumenten reichten Designideen auf der Online-Plattform ein. Die Vorschläge wurden ausgiebig diskutiert und die Ideen von den Nutzern bewertet. Die Ulk-Idee „Hähnchengeschmack“ machte überraschend mit deutlichem Abstand das Rennen: Auf dem braunen Etikett ist eine Kinderzeichnung eines Brathähnchens zu sehen und darunter steht in krakeliger Schrift: Schmeckt lecker nach Hähnchen! Der Erfinder dieser Idee, der Werbetexter Peter Breuer aus Hamburg, kommentierte dazu auf Facebook: „Ich hatte mich darüber geärgert, das Stempeln von Blümchen zur Crowdsourcing- Aktion zu erheben.“ Das Unternehmen sortierte diesen top-platzierten Vorschlag aus und prämierte den zweitplatzierten „Frühlingsmeer“ mit gefälligem Blumenbild zum Gewinner. Diese „Manipulation“ wurde in sozialen Netzwerken mit einem Shitstrom quittiert und die ganze Aktion endete in einem PR-Debakel für Henkel.
Customer Co-Creation kann – wie die oben genannten Beispiele zeigen – ein mögliches Mittel für Unternehmen sein, den Produktinnovationsprozess erfolgreicher zu gestalten. Allheilmittel für erfolgreiche Innovationen kann das Konzept leider nicht sein.

Bilder zum Artikel:
Autorin(nen) / Autor(en):
Professorin für Internationales Marketing
Hochschule Pforzheim
Junior Managerin Online Marketing
K-New Media, Berlin