Brauchen Marken einen Purpose?
Purpose und Tulpen aus Amsterdam
Purpose Folgt man den einschlägigen Medien für Marketeers, wäre die Frage schnell beantwortet. Purpose- und Haltungskampagnen sprießen nur so wie Tulpen aus Amsterdam. Viele Unternehmen stoßen in dieses Horn, um zu zeigen, dass sie und ihre Marken gute Bürger mit klarer Haltung sind. Zunehmend melden sich solche Unternehmen zu diversen Themen zu Wort. Sie schwimmen Wellen aufmerksamkeitsheischender Themen ab, um für oder gegen etwas zu sein. Zumindest so lange ein solches Thema im Fokus ist. Danach gibt es „Business as usual“. Oftmals fragt sich der geneigte Betrachter, was dies mit der Marke zu tun hat, geschweige denn mit einem Purpose.
Ich glaube, dass es gefährlich ist, unreflektiert auf jeden Zug aufzuspringen, nur weil dieser gerade angesagt ist. Und das sage ich, obwohl ich selbst ein Buch zum Thema Purpose & Vision geschrieben habe, oder vielleicht auch gerade deshalb. Denn das Thema ist wichtig. Aber nicht für jede Marke.
Was ist ein Purpose und wozu dient er?
Der Purpose ist der Zweck eines Unternehmens. Es ist die idealistische Motivation, warum es das Unternehmen gibt. Kernfragen zur Bestimmung des Purpose lauten: „Warum gibt es uns? Was treibt uns an?“ 3M hatte diese Frage mit „to solve unsolved problems innovatively“ beantwortet, The Walt Disney Company mit „to make people happy“. Für die Würth Group haben wir mit dem Würth-Management „We love to sell. We inspire our customers“ und für die Umdasch Group, die Betonverschalungen für die großen Gebäude dieser Welt macht und Stores gestaltet, „We create spaces“ entwickelt. Alle kurz, stark, prägnant, treffend und für Mitarbeiter motivierend. Der Purpose (häufig auch Mission oder Unternehmenszweck genannt) dient vor allem der Orientierung nach innen:
1. Der Purpose bestimmt das Spielfeld, auf dem ein Unternehmen sich bewegt. So wie Fußballspieler nur auf dem Fußballfeld spielen und nicht daneben, muss sich ein Unternehmen auf dem gesetzten Spielfeld entwickeln. Deshalb darf dieses nicht zu eng sein, indem man einen Markt beschreibt oder das, was man konkret tut. Bei Würth geht es nicht um Schrauben, bei Disney nicht um Comic-Hefte. Das Spielfeld ist wesentlich größer und lässt Raum für Wachstum. 3M freut sich über jedes Problem, mit dem man an das Unternehmen herantritt. Probleme sind Chancen für Lösungen und somit Wachstum.
2. Der Purpose beeinflusst Denken und Handeln im Unternehmen. Kollegen von INSEAD haben in einer Studie zum Wachstum von Unternehmen belegt, dass der Purpose den Erfolg treibt, wenn er im Zentrum der Strategien und des Handelns von Unternehmen steht. Würth praktiziert dies seit Jahren. Aus Liebe zum Verkauf und um Kunden zu begeistern, wurden für kleine Handwerksbetriebe Niederlassungen eingeführt, weil Verkäufer diese nicht mehr wirtschaftlich bedienen konnten. Mit Einzug der Digitalisierung begeistert Würth Kunden mit dem E-Commerce-Shop, der mittlerweile für ein Drittel des Umsatzes steht. Und natürlich gibt es 24/7-Shops, wo Kunden jederzeit bargeldlos einkaufen können.
3. Der Purpose wirkt sinnstiftend für Mitarbeiter. Alle mir bekannten Studien zeigen, dass Mitarbeiter, die den Sinn ihrer Arbeit und ihren Wertbeitrag für das Unternehmen sehen, motivierter und engagierter sind. Sie fühlen sich stärker gebunden und wirken positiv auf die Unternehmensperformance.
4. Der Purpose stellt eine Legitimation für das Unternehmen dar. Es ist die „licence to operate“, weil man zeigt, wodurch man einen gesellschaftlichen Wertbeitrag leistet.
Der Purpose beinhaltet somit auch den Beitrag des Unternehmens für andere Stakeholder und ein großes Ganzes. Entsprechend muss sich auch die Markenstrategie an dem Unternehmenszweck ausrichten.
Corporate Brands, Familienmarken, Produktmarken: Wann ist ein eigener Purpose wichtig?
Die Corporate Brand markiert das Unternehmen. Sie ist sichtbarer Ausdruck des Unternehmens für alle internen wie externen Anspruchsgruppen. Insofern ist der Purpose des Unternehmens auch der Purpose der Corporate Brand. Jede Unternehmensmarke braucht demzufolge einen Purpose.
Doch wie verhält es sich mit weiteren Marken, die ein Unternehmen führt? Grundsätzlich sollte der Purpose auch das Fundament für alle Marken sein, die unter der Corporate Brand geführt werden. Die Unternehmensmarke Danone verfolgt beispielsweise den Purpose, einmalige Geschmackserlebnisse und gesunde Produkte zu bieten – für alle Menschen und für jeden Tag. Somit ist dies auch das Spielfeld für die Marken im Markenportfolio: Keine der Marken sollte diesem Purpose zuwiderlaufen. Vielmehr sollten diese dem Zweck auch gerecht werden. Dies ist bei den Marken von Danone gewährleistet: Die Joghurtmarke Actimel hilft, das Immunsystem auf natürliche Weise zu unterstützen, MyPro versorgt als Marke die Sportler mit funktionaler und leckerer Ernährung usw.
Ob Marken unter einer Corporate Brand selbst einen Purpose brauchen oder nicht, hängt von deren Bedeutung und deren Rolle ab. Der LVMH-Konzern hat beispielsweise eine Fülle von Marken in unterschiedlichen Kategorien, die selbst von ihrer Bedeutung und Herkunft her eigene Unternehmen sind. Louis Vuitton oder Tiffany & Co. sind eigene Unternehmen, die anders ticken und für die es unterschiedliche Existenzgründe gibt. Deshalb ist es hier sinnvoll, auch jeweils einen eigenen Brand-Purpose zu entwickeln. Bei Louis Vuitton geht es im Wesentlichen darum, neue Horizonte zu erforschen und um die Kunst des Reisens, bei Tiffany um die Neudefinition von speziellen Momenten der Liebe.
Bei Ferrero oder bei Henkel sieht dies ganz anders aus. Die Frage nach dem Purpose von Ferrero Rocher oder Mon Chéri ist hier wenig zweckmäßig. Vielmehr geht es darum, für solche Marken klare Markenwerte und eine überzeugende Markenpositionierung zu entwickeln, die die Marke bei Kunden begehrlich macht und vom Wettbewerb differenziert.
So steht bei Henkel im Waschmittelbereich Persil für das Beste und Spee für günstiges Waschen. In beiden Fällen möchte das Unternehmen mit den genannten Marken auch „Wert für Kunden“ schaffen. Letzteres ist der Purpose von Henkel, die erstgenannten Aspekte sind hingegen die Kaufgründe für beide Marken. Der „Wert für Kunden“ wird somit markenspezifisch dekliniert und durch ein Markenversprechen im Markt gegenüber Kunden übersetzt. Prämisse dafür ist die Bildung einer klaren Markenidentität und die Ableitung einer überzeugenden Markenpositionierung.
Und daraus ergibt sich eine weitere Frage, die häufig zu Missverständnissen führt:
Kaufen Kunden ihre Produkte wegen des höheren Sinns Ihres Unternehmens?
Dafür gibt es viele Protagonisten. Sie begründen dies mit Daten, nach denen „Purposeful Brands“ stärker wachsen als andere. Schaut man genauer auf die konkrete Operationalisierung von „Purposeful Brands“, fällt auf, dass damit Marken gemeint sind, die bekannt sind und ein klares, differenzierendes sowie kundenrelevantes Versprechen geben. Letztere sind schlicht und ergreifend starke Marken. Alle anderen Marken sind verzichtbar. Dies wären laut Havas 77 Prozent, bei denen Kunden nicht bedauern würden, wenn es die Marken nicht mehr gäbe.
Bei der Beantwortung der Frage, ob Kunden Produkte wegen eines „höheren“ Sinns kaufen, gibt es aus meiner Sicht zwei Seiten einer Medaille.
Zwei Seiten einer Medaille: die erste
Denken Sie einmal darüber nach, warum Sie als Privatkunde Post-it für Notizen oder Scotchgard Imprägnierung für Leder kaufen. Oder warum Sie als gewerblicher Kunde Thinsulate-Isolierungen für Fenster oder Atemschutzmasken kaufen. Im ersten Fall geht es um bequeme und einfache Notizen zum Markieren, im zweiten Fall um schonende Pflege und im dritten Fall geht es wahrscheinlich um Schutz. Es ist aber kaum zu erwarten, dass ein Kunde diese Produkte nachfragt, weil 3M ungelöste Probleme auf innovativem Wege lösen möchte. Aus diesem Purpose speist sich allerdings die Vielzahl neuer Produkte und Marken, die als Problemlöser in den unterschiedlichsten Bereichen und Branchen dienen.
3M ist kein Einzelfall. Es ist die Regel, nicht die Ausnahme. Vielen Unternehmen reicht der Purpose nicht, um ihre Marke(n) wirksam im Markt zu positionieren und für Kunden relevant zu machen. Es bedarf somit einer Konkretisierung, wofür die Marke steht und warum Kunden die Marke kaufen sollen.
Zwei Seiten einer Medaille: die zweite
Für die zwei Seite Purpose = Marke = Kaufgrund steht Patagonia. Patagonia hat sein ganzes Image und seine Reputation als Marke darauf aufgebaut, dass der Purpose des Unternehmens konsequent gelebt wird. Das Unternehmen unterstützt mehr als 1000 Umweltschutzorganisationen rund um die Welt. Seit 1985 spendet die Outdoor-Marke ein Prozent des Umsatzes zum Schutz und zur Wiederherstellung der natürlichen Umwelt. Im Jahr 2002 gründete der Patagonia-Gründer Yvon Chouinard die Non-Profit-Organisation „1% for the Planet“. Es ist eine Allianz von Unternehmen, die jeweils ein Prozent ihres jährlichen Umsatzes für Umweltzwecke spenden.
Das dreiteilige Purpose- Statement – die besten Produkte zu produzieren, keinen unnötigen Schaden zuzufügen und das Geschäft zu nutzen, um inspirierende Lösungen für die Umweltkrise zu implementieren – bildet die Grundlage für die gesamte Marketingstrategie.
Der Purpose ist der Zweck eines Unternehmens. Es ist die idealistische Motivation, warum es das Unternehmen gibt.
Patagonia schwört als Marke dem Massenkonsum ab und betrachtet Mode anders. Bei der Mode geht es primär darum, ästhetische Produkte zu gestalten und neuesten Trends zu folgen. Genau dem widersteht Patagonia aus dem Purpose heraus. Es ist eine klare Form der Selbstbeschränkung.
Stattdessen möchte die Marke für ihre Transparenz in der Wertschöpfungskette bekannt sein. Patagonia möchte als Arbeitgeber das Image haben, mit den Arbeitern gerecht und sozial umzugehen. Und Patagonia möchte als nachhaltige Marke wahrgenommen werden, die langlebige Produkte entwickelt, die, wo möglich, aus recyceltem Fair Trade und organischem Material hergestellt werden.
Das Beispiel Patagonia zeigt, dass der Purpose bei Unternehmensmarken sehr wohl tragfähig für eine Position im Markt und damit auch für die Wahl von Kunden sein kann. Aber eben nicht für alle Unternehmensmarken.
Ist der Purpose eine echte Option zur Positionierung einer Marke im Markt, muss dieser auch die Anforderung an eine wirksame Positionierung erfüllen. Drei Anforderungen sind hier zu prüfen:
1. Ist der Purpose für Kunden oder bestimmte Kundengruppen so relevant, dass diese bereit wären, Produkte und Dienstleistungen der Marke zu kaufen? Wird klar, welche Verbesserungen daraus für Kunden resultieren?
2. Ist der Purpose wirklich einzigartig und somit klar abgrenzbar von Wettbewerbspositionen? Würde den Kunden in dem jeweils relevanten Markt etwas fehlen, wenn es die Marke nicht mehr gäbe?
3. Können wir diesen für Kunden relevanten Nutzen auch wirklich als Marke besitzen und weiter ausbauen, um dadurch überlegene Leistungen sicherzustellen?
Purpose ist wichtig, aber kein Allheilmittel
Leider wird mit dem Begriff Purpose heute viel Schindluder getrieben, weil er sich gut verkauft. Beliebt ist beispielsweise, den Purpose untrennbar mit Nachhaltigkeit zu verknüpfen. Der Purpose hat allerdings keine inhaltliche Richtung. Er muss lediglich die idealistische Motivation sein, warum es ein Unternehmen oder eine Marke gibt. Bei The Walt Disney Company den Purpose mit Nachhaltigkeit zu verknüpfen brächte keinen Mehrwert. Bei einem Waffenproduzenten wie Heckler & Koch, der ebenfalls seine Berechtigung hat, klänge es gerade zu absurd.
Patagonia schwört als Marke dem Massenkonsum ab und betrachtet Mode anders.
Es ist gefährlich, den Purpose als Allheilmittel zu verstehen. Die primäre Wirkung eines Purpose ist nach innen. In den seltensten Fällen wirkt der Purpose auch nach außen. Gegenüber Kunden brauchen Marken vor allem eine klare Markenidentität und überzeugende Markenwerte und ein entsprechendes Übersetzungsprogramm in Marketingmaßnahmen, die die Marke sichtbar und begehrlich machen. Daran ändert auch der Purpose nichts. Nach innen kann der Purpose aber nachweislich gewaltige Wirkungen erzielen. Nicht umsonst sind Unternehmen, die einen Purpose konsequent umsetzen, auch erfolgreicher als andere.
Esch, F.-R. (2021): Purpose & Vision. Wie Unternehmen Zweck und Ziel erfolgreich umsetzen, Campus Verlag, Frankfurt am Main.