Be real – wie Unternehmen authentisch erfolgreich sind

Be real – wie Unternehmen authentisch erfolgreich sind

Bionade, ein Öko-Getränk, avanciert zum neuen Kultdrink der Deutschen. Dove wirbt mit „alten“ Frauen und erzielt höchste Image-Punkte. Abercrombie & Fitch nagelt seine Schaufenster zu und lockt so Kunden an. Was – fragt man sich – ist derzeit in der Marketinglandschaft los?

Immer mehr Unternehmen setzen auf neue, innovative Marketingmaßnahmen. Eigentlich nichts Neues. Schon seit Jahren werden die Schlagzeilen immer lauter, die alle in das gleiche Horn blasen: „Klassische Werbung verliert an Schlagkraft“, „Menschen haben einfach die Nase voll von zu starker Kommerzialisierung“, „Die Leute sind genervt von Unternehmen, die sich plump anbiedern“. Die Liste kann fast endlos fortgesetzt werden. Viele Unternehmen haben mittlerweile reagiert und versuchen, neue Wege zu gehen.


Authentizität und Glaubwürdigkeit – die Frage nach der "fundamentalen Tugend" des Produkts"

Immer mehr Unternehmen konzentrieren ihre Marketingstrategie vor allem auf zwei Dinge – Authentizität und Glaubwürdigkeit. Und zwar diesmal nicht, um authentisch und glaubwürdig zu erscheinen – sondern um es auch wirklich zu sein! Und das kommt an beim Kunden: „People increasingly make purchase decisions based on how real or fake they perceive offerings“ schreiben James Gilmore und Joseph Pine in ihrem neuen Buch Authenticity.
Bei authentischem Marketing ist nicht mehr das Nutzenversprechen des Produkts der Ausgangspunkt, sondern die „fundamentale Tugend“, die das Produkt bzw. die Marke besitzt. Dabei geht es um mehr als das, was wir traditionell unter Markenpersönlichkeit verstehen. Kernelement ist eine nachhaltige, ethischmoralische Lebenseinstellung. Zwar sind die Tage der traditionellen Markenpersönlichkeiten – wie des „harten, maskulinen, freiheitsliebenden Mannes“ (Marlboro) oder der „glamourösen, attraktiven, begehrenswerten Schönheit“ (Revlon, Jade, L’Oréal …) – noch nicht gezählt. Doch diese Art des Markenbilds ist vielen Konsumenten mittlerweile nicht mehr gut genug: Es muss eine tiefere, sinnstiftende Lebenseinstellung dahinterstehen, die sich stringent durch den Marketingmix zieht. Bestes Beispiel für authentisches Marketing: Bionade, die nicht nur als natürlich und gesund, sondern auch als nachhaltig, mit klarer lokaler Herkunft und im Einklang mit der Natur stehend wahrgenommen wird. Ganz ähnlich wie die zahlreichen Kosmetikfirmen, die in der letzten Zeit die britischen High Streets erobert haben, wie Korres und Aveda, um nur zwei zu nennen. Sie verkörpern einen ganz anderen Lebensstil als die traditionellen Kosmetikkonzerne. Einen Begriff für diese Art von Unternehmen, die sich als „verantwortungsvolle Kapitalisten“ sehen und nur auf ethische und ökologische Geschäftspraktiken setzen, gibt es schon seit längerem: Lohas (Lifestyle of Health and Sustainability).
Doch nicht nur Underdogs können authentisch erfolgreich sein. Auch etablierte Konsumgüterunternehmen schaffen es, als authentisch und glaubwürdig wahrgenommen zu werden, wie Unilever mit Doves erfolgreicher Pro-Age- (nicht Anti-Age!) Kampagne beweist. Kernbotschaft der Kampagne ist, dass Frauen auch mit 50+ und Falten attraktiv sein können.
Ein anderes Beispiel: Starbucks. Auch wenn das Unternehmen derzeit aufgrund seines schnellen Wachstums strauchelt (mit mittlerweile 15 000 Läden weltweit) – der durchschlagende Erfolg der US-amerikanischen Kaffeekette liegt immer noch darin, dass das Gros der Kunden das Unternehmen als authentisch und glaubwürdig wahrnimmt: qualitativ hochwertiger „fair trade“-Kaffee, serviert vom Barista (dem Kaffeekünstler) im netten Laden um die Ecke mit Wohnzimmeratmosphäre.


Statt einseitigem Anbiedern: gegenseitiger Dialog mit dem Kunden – durch Word of Mouth- Marketing, Conversational Marketing und Reverse Psychology Marketing

Wie aber setzt man authentisches und glaubwürdiges Marketing richtig um? Nicht nur durch den richtigen Inhalt, sondern auch durch das richtige Medium. Neue Kommunikationsmittel sind die letzten Jahre entstanden, die Authentizität vermitteln. Das Schlagwort hier: Word of Mouth-Marketing (WOMM). Nicht das werbende Unternehmen selbst oder ein „bezahlter“ Prominenter sind die Überbringer der Werbebotschaft, sondern ein glaubwürdiger Dritter. So hat Bionade ohne Werbemillionen hohe Bekanntheit erlangt. Der Trend geht mittlerweile so weit, dass 2006 das US-amerikanische Fachblatt Advertising Age den „Consumer“ zur „Agency of the Year“ kürte. Deren Begründung: „They have become arguably the most effective creators and distributors of commercial content.“
Häufig besteht allerdings lediglich eine feine Linie zwischen Konsumenteneinbeziehung und Konsumentenmanipulation: Sony Ericsson schickte zur Einführung ihres neuen Handys T68i 120 Schauspieler durch US-amerikanische Städte, die „undercover“- Promotionen durchführten – beispielsweise, indem sie Passanten oder Barbesucher fragten, ob sie mit dem Handy Bilder von ihnen machen könnten. Diese „unehrliche“ WOMM-Kampagne hat dem Unternehmen heftige Kritik eingebracht.
Innerhalb des WOMM erregt mittlerweile eine Sonderform, das sogenannte Conversational Marketing, besondere Aufmerksamkeit. Conversational Marketing basiert auf der Annahme, dass Personen positiver reagieren, wenn man ihnen die Botschaft nicht „laut (und wiederholt) ins Gesicht brüllt“, sondern sich mit „gemäßigter Stimme mit ihnen unterhält“ – und der Kunde reagieren kann. Virgin Atlantic hat eine Web- Seite geschaffen, auf der Passagiere den künftigen Flugzeugen Namen zur Flugzeugtaufe geben können. Bazooka Kaugummi animiert Leute dazu, Werbespots selbst zu drehen und sendet diese. Auf der Web-Seite von Converse Chucks können Kunden ihre persönliche Geschichte mit ihren Turnschuhen erzählen und mit Bildern illustrieren. Stichwort: User-Generated-Content. Selbst die Macher der Seite waren von der überwältigenden Resonanz der Kunden überrascht.
Diese Logik des eher zurückhaltenden, unaufdringlichen Marketings auf die Spitze getrieben hat das sogenannte „Reverse Psychology Marketing“. Dies beschreibt das Phänomen, aus Prinzip gegen die Regeln der traditionellen Marketing-Lehrbücher zu verstoßen. Man macht genau das Gegenteil, was Marketing eigentlich ausmacht. Statt Aufmerksamkeit beim Kunden zu erregen, versteckt man sich. Statt sich von seiner besten Seite zu zeigen, diskreditiert man sich selbst. Das Textilunternehmen Abercrombie & Fitch versucht, seine Kunden nicht durch aufwendig gestaltete Schaufenstergestaltung in den Laden zu locken, sondern setzt auf „verbarrikadierte“ Läden, die den Eindruck vermitteln, das Unternehmen hat Push-Marketing nicht nötig. Der US-amerikanische Juwelier Steven Singer hat durch seine Plakataktion mit der Aufschrift „I hate Steven Singer“ hohe Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Auf seiner Homepage kann man die „10 Reasons“ (à la David Letterman) nachlesen, warum ihn Männer hassen. Unter anderem: „My wife spends more time with Steven Singer than with me“ oder „Flowers and chocolate don’t work anymore“.
Was sollten Unternehmen, die den Dialog mit Kunden suchen, nun tun? WOMM, Conversational Marketing, Reverse Psychology Marketing … Die Paradelösung für jedes Unternehmen gibt es nicht, sondern jedes Unternehmen muss je nach Situation individuell entscheiden, wie Authentizität und Glaubwürdigkeit am besten zu erreichen sind.


Warum es nicht allen gelingt, und warum es schnell vorbei sein kann

Als authentisch und glaubwürdig wahrgenommen zu werden, ist äußerst schwierig, vor allem für etablierte Konzerne. Wäre der Erfolg von Bionade auch als Neuprodukt aus dem Hause Coca-Cola möglich gewesen? Wohl kaum. Bionade ist gerade deshalb erfolgreich, weil sie die „Anti-Limonade“ ist, sich anders als die großen Spieler im Markt gebärdet und sich von diesen klar differenziert.
Viele Unternehmen, die nach Jahren des Wachstums nicht mehr der kleine, vertrauenserweckende Underdog sind, sondern selbst ein etabliertes – wenn nicht sogar – dominierendes Unternehmen im Markt, erleben einen Vertrauensverlust beim Kunden. Google, die vertrauenswürdige Suchmaschine mit dem Firmenmotto „don’t be evil“, wird derzeit als Konformist mit dem Regime in Peking und wegen dubioser Datenschutzpraktiken angeprangert. Wie lange wird es noch dauern, bis die Ersten ein typisches „apple-isiertes“ Heim mit Mac, iPod und iPhone als beängstigend betrachten? Sobald Unternehmen eine bestimmte Größe und damit Marktmacht innehaben, ist es schwierig, weiterhin als authentisch und glaubwürdig wahrgenommen zu werden. Statt „real“ und ethisch unbedenklich zu sein, erscheint das Unternehmen als dominant und machtmissbrauchend – und ist es in einigen Fällen auch! Dass aber auch große Spieler im Markt mit authentischem Marketing erfolgreich sein können, zeigt die Pro-Age-Kampagne von Dove aus dem Hause Unilever. 4 : 2008 25 marke 41 Pro-Age Frauen werden darin bestärkt, selbstbewusst zu ihrem Alter zu stehen. Generell ist vor allem eines wichtig: Authentisches Marketing ist eine langfristige Strategie und nichts, was von heute auf morgen gelingt. Das Vertrauen des Kunden ist nicht einfach zu erlangen. Es zu zerstören, ist allerdings umso einfacher. Schon vermeintlich „unwichtige“ Entscheidungen beim Marketingmix können enorme Auswirkungen haben. Bionade Mitte 2008 wurde die Kritik noch lauter. Statt 59 Cent kostet die Kultbrause seit 1. Juli 2008 nun 79 Cent – drastische 20 Cent mehr. Lässt sich diese „Profi tgier“ mit dem Saubermann-Image von Bionade vereinbaren? Die nächsten Monate werden zeigen, ob die Verbraucher Bionade abstrafen, weil sie das Unternehmen nun für unglaubwürdig (und „profi tgierig“) halten. Andererseits kann es auch durchaus sein, dass die Preiserhöhung von den Konsumenten klaglos akzeptiert wird – und vielleicht den Status von Bionade als Premium- Produkt sogar noch bekräftigt.
Das Beispiel zeigt: Ein authentisches und glaubwürdiges authentisches Marketing kann sich auszahlen, wenn das Unternehmen „be real“ nicht als reines Lippenbekenntnis sieht, sondern es auch wirklich ernst meint. „If customers don’t view your offerings as real, you’ll be branded inauthentic – fake! – and risk losing sales“, wie James Gilmore und Joseph Pine richtig konstatieren. Daher: „You better be truly real!“

QUELLEN

Bloom, Jonah (2007): How and Why We Picked the Consumer as agency of the Year, http://adage.com/ article?article_id=114153, Stand: 08.01.2007.

Foscht, Thomas/Sinha, indrajit (2006): reverse Psychology Marketing, Palgrave Macmillan.

Gilmore, James/Pine, Joseph (2007): authenticity: What Consumers really Want, Harvard Business School Press.

Heuer, Steffan (2008): Darf ich behilflich sein? in: Brand eins, Nr. 2 vom 01.02.2008, S. 60–65.

Ramge, Thomas (2008): Von freund zu freund. in: Brand eins, Nr. 2 vom 01.02.2008, S. 68–73.

Stehr, Nico (2007): Die Moralisierung der Märkte, Suhrkamp.

Autorin(nen) / Autor(en):
Professorin für Internationales Marketing
Hochschule Pforzheim